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[   Band 1 Brief 92:    Humboldt an Caroline    [Berlin], Donnerstag abend, 11. November 1790   ]


langweilig, hier ist die Langeweile öfter, aber kürzer. Aber ich weiß
hier nie, was ich wünsche. Die arme Mama müßte immer unter-
wegs sein. Denn ist sie hier, so wünsch ich sie nach Tegel, und
ist sie da, so wünsch ich sie her. Sagte in Burgörner einmal,
würde mit ihr vom zerrissenen Strahl sprechen, hab’s auch hier
gedacht, aber wie ich’s wollte, da stockte mir die Stimme, konnte
kein Wort sagen. Kann’s nicht über die Seele bringen, nur einen
Gruß von Dir zu bringen. Hab ihr noch nicht gedankt für den
Brief an Dich. Trage mich damit seit drei Wochen und länger.
Mama ist sehr gutmütig, nimmt so was nicht übel, klagt bloß
gegen Kunth, daß mit mir nichts zu reden ist, und freut sich auf
Alexandern. Ach! Vergib mir, Li, Dich nennen, an so unheiligen
Orten, hier, wo nichts Dich sah, wo nichts, nichts mir eine Er-
innerung an Dich geben kann. Sage aber nicht, wie Du mir
schreibst, hätte in Deinem Zimmer in Erfurt keine Freude gehabt,
wäre nicht glücklich gewesen. Ach, war es doch, und so weh, so
weh! Liebte Dich ja so herzlich, so hingebend, wenn ich auch nicht
wieder geliebt zu sein glaubte.
Gott! Li, wenn wir uns noch lang nicht verstanden hätten.
Weiß nicht, ob’s mein Wesen getragen hätte. Ein Kuß!



93. Caroline an Humboldt    [Erfurt], Freitag abend,
                                   12. November 1790
 
Gestern abend konnte die arme Li nicht zu Dir kommen,
war so krank, mußte sich früh zu Bette legen und brachte
die Nacht in bangen Fieberphantasien hin. Seit heute
mittag geht’s nun aber viel besser, mein Kopf ist nicht mehr so
zerstückt, und die Brust holt freier Atem. Nein, Li wird nicht krank,
sei ruhig, meine liebe Seele. —— — —

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