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[ Band 1 Brief 92: Humboldt an Caroline [Berlin], Donnerstag abend, 11. November 1790 ]
Nach diesem System ist alles Körperliche bloß Schein. Es gibt nichts als vorstellende Kräfte, Monaden. Diese Monaden sind einfach, es kann also nichts von ihnen ausgehn und nichts in sie eingehn. So gibt es gar kein unmittelbares Einwirken des einen Wesens ins andere. Jedes lebt ewig vereinzelt nur in sich und seinen Ideen, und wenn eins aufs andre wirkt, so ist es bloß eine Anordnung des Schöpfers, der die Ideen in jedem in eine solche harmonierende Verbindung gesetzt hat, daß, wenn in dem, welches wirkt, eine gewisse Idee entsteht, zugleich auch in dem, auf das gewirkt wird, eine korrespondierende hervorgeht. Kannst Du Dir etwas Spitzfindigeres und allem Gefühl Widersprechenderes denken? Und doch erinnere ich mich sehr gut, wie dies System mich erwärmt hat. Vorzüglich einmal in Tegel. Ich saß einen Abend bei sternenhellem Himmel in einem kleinen Akazienwäldchen. Wie es nun immer so lebhafter in mir wurde, daß alles, was mich umgab, Wesen wie ich wären, jedes Blatt, das um mich rauschte, jeder Boden, den ich betrat, und daß die schlafenden Kräfte dieser Wesen einst geweckt und erhöht würden, da geriet ich in eine Be- geisterung, noch fühl ich es, wie mir war, wie ich hinkniete und vor Freude weinte und zu dem sternenbesäten Himmel so fromm betete. Ach! so fromm war ich immer, so bin ich’s noch, sonst betete ich zu ungekannten, ersehnten, geahndeten Wesen, jetzt, jetzt ist mein Sehnen, mein Bewundern, mein Anbeten bestimmt, schweift nicht mehr unsicher umher, jetzt bet ich die Urgestalt aller Schön- heit an, zu der Dein Anblick mich hebt, jetzt, was ich in Dir be- wundernd anschaue und verloren in stummem Entzücken zu um- fassen ringe und nicht vermag, daß das arme unterliegende Herz zu vergehen wähnt. Sonnabend, 13. November Heut ist meine Mutter in die Stadt gezogen. Ich wünschte es schon längst. Das Reiten nach Tegel ist so unbequem und 281