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[ Band 1 Brief 92: Humboldt an Caroline [Berlin], Donnerstag abend, 11. November 1790 ]
nur vor ihr jede Falte meiner Empfindungsart enthüllen. Ach Li, immer ist mir’s, als wären wir beide nur verschiedene Blüten des- selben, in stiller Einsamkeit unter dem Hauch milder Lüfte aufge- sproßten Stammes. Darum werden wir auch zusammen dahinwelken und in einen Staub uns mischen und aus einem Staube wieder zu neugestalteten, aber immer gleich verschwisterten Blüten hervorgehn! — Freitag Ich schrieb Dir gestern so viel von mir und von der Wärme, die so viele Dinge in mir hervorbrachte. Ewig wird es mir merk- würdig bleiben. Meine erste bessere Bildung bekam ich durch Engel *). Er ist ein sehr feiner und lichtvoller Kopf, vielleicht nicht sehr tief, aber so schnell auffassend und darstellend, wie ich es nie wieder gefunden habe, versteht sich nur in intellektuellen Dingen. Bei dem hört ich Philosophie nur mit wenigen andern und unterrichtete dann wieder meinen Bruder in seiner Gegenwart. Er gewann mich äußerst lieb, und ich hatte eine Anhänglichkeit an ihn, eine Achtung — so in dem empfundenen Sinne des Worts — eine Liebe, die in den höchsten Enthusiasmus überging. Der Unterricht war ganz Wolfisch, fast immer bloß logisch, und ich hatte in der Logik und in der Wahl erster scholastischer Spitzfindigkeiten eine solche Stärke, daß noch jetzt, da ich seitdem dies Zeug nicht mehr angesehen habe, ich kaum einen Menschen kenne, der mehr als ich davon weiß. Denn man treibt das jetzt gar nicht mehr. Trotz der Richtung, die nun das meinem Kopf hätte geben müssen, fand ich immer Wege, meine Empfindung zu beschäftigen und beides zu vereinen. In der Metaphysik nun war hie und da Gelegenheit, die ich nie unbenutzt ließ, und die mir mit die frohesten Momente gab, die ich in meinem Leben kenne. Ich weiß nicht, ob Du wohl von Leibnizens Monadologie gehört hast. Nur zwei Worte davon, um auf etwas andres dadurch zu kommen. ——— *) Vgl. Einleitung. 280