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[ Band 1 Brief 92: Humboldt an Caroline [Berlin], Donnerstag abend, 11. November 1790 ]
als wie in ewigem Strome nie bleibender Gestalten. Der Hauch Deines Wesens umwehte mich, wenn lang, ehe mein Auge Dich sah, ich mich gehoben fühlte durch fremde Kraft, auf Augenblicke Wahrheit sich mir enthüllte, wenn ich ein ursprünglich besseres Da- sein ahndete, das ich nicht ganz umfassen, sehen würde, wie es ist, wenn je unser Auge hüllenloses Dasein zu schauen vermag. Un- gewisses Sehnen hob dann die glühende Brust, ich wähnte mich verzückt aus der Reihe wirklicher Dinge und trauerte ob der ver- irrten Phantasie, die mir doch so lieb war. Das war Dein Wesen, das ich vernahm wie ein fernes Lispeln, ach, ich wußte es nicht damals, daß es das war, sonst wäre ich ja damals hingekniet vor Dir und hätte Dich angebetet, Dich hohes, unbekanntes Wesen, das mir die besten, glühendsten Kräfte schenkte und die seelen- erhebendsten Freuden, so wie ich nur hinkniete vor dem, den meine Vernunft nicht anerkannte, aber dem ich kindlich einfältig als dem wohltätigen Geber dieser Momente dankte. Lächle nicht über meine Ideen, meine Kindereien, meine Torheiten vielleicht. Laß mir den süßen Traum, wenn es Traum ist, laß ihn mich Dir sagen, damit Li wisse, was Bills Seele schon früh so froh und so schmerzlich bewegte. Ich war immer so ein närrisches Wesen, hatte immer Ideen und Empfindungen, die mich so erwärmten, so innig sich mit meinem Wesen verbanden, daß ich sie wie Heiligtümer in mir verbarg und rot wurde und zitterte wie ein Schuldiger, wenn ich sie über meine Lippen bringen mußte. Ach, noch jetzt kostet mich jedes Hervorbringen oft schon in Gedanken so viel. Und einen Gedanken, der mir lieb ist, in Ausdruck zu kleiden, dabei wogt meine Seele immer von dem höchsten Schmerze zur höchsten Selig- keit. Darum kann ich auch niemand so von dem reden, was mir sehr lieb ist, denn die Glut, die es in mir hervorbrachte, und die Ärmlichkeit und Kälte, mit der es nun dasteht und in der es auf- gefaßt wird! Nur meiner Li kann ich reden, wie ich mit mir rede, 279