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[ Band 1 Brief 90: Caroline an Humboldt [Erfurt], 8. November 1790, ]
bestätigt, was unsre Seelen in lichten Momenten ahndeten, daß sie und die Liebe eins sind, daß die Göttliche nur Führerin unsres Lebens wurde, um es inniger mit sich zu verweben. Mittwoch abend Li ist nicht wohl heute. Die arme Brust ist so eng, dehnt sich ängstlich aus nach Luft, wirft aber kein Blut aus und läßt Bill sagen, er sollte nicht bang sein, es würde bald wieder gut werden. Muß Dir von einer schnellen, närrischen Eroberung er- zählen, die ich gemacht habe. Ich habe Dir schon einmal von einem Doktor Pader *) gesagt, der in Freiberg wohnt und sich bloß nach M.s und G.s Erzählungen so in mich verliebt hat, daß er —— wie Carl versichert, gelesen zu haben — ganze Seiten über die Schönheit meiner blauen Augen schreibt. Gestern läßt sich mir in der Gesellschaft ein Fremder präsen- tieren. Ich achtete nicht auf den Namen, sprach viel mit ihm, weil er mich nicht mehr verließ und sich gut ausdrückte. Papa bat ihn auch heute mittag zu Tische, und es kam zufälligerweise heraus, daß der Freiberger P[ader] sein Bruder sei, den er mit zurück nach Engelland nehmen wolle. La jeunesse est étourdie, und darum verliebte er sich zwischen gestern und heute bis über die Ohren, und als er beim Dessert durch eine Gesundheit, die die andern Gäste ausbrachten, erfuhr, daß ich versprochen sei, ließ er seine Mandoline holen und spielte und sang die trostlosesten Balladen und schöne englische Romanzen. Du hättest lachen müssen wie ich, wenn Du das alles gehört, und seinen Abschied und seine Bitten, nach Engelland zu kommen, alles das geschah mit einer Lebhaftigkeit, mit einem Eindringen und Bloßgeben seiner selbst, und dann doch wieder mit einem unverkennbaren Zug des Leicht- sinns, daß mir dergleichen noch nicht vorgekommen ist. Ich gab ihm ein Briefchen mit an Carl. ——— *) Franz v. Baader, Naturphilosoph. Sein Bruder Joseph, Ingenieur. 273