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[   Band 1 Brief 86:    Humboldt an Caroline    Berlin, [Datum fehlt]   ]


Deinen begegnete. Aber das Unglück ist mir fremd geblieben, und
mein Gefühl vermag kaum seine Möglichkeit zu ahnden. Nein, Li,
wen Deine Liebe geheiligt hat, der ist auf ewig dem Unglück ent-
hoben, dessen Wesen steigt von Wonne zu Wonne, sollt es auch
in Wehmut vergehen. So unendlich viel wir jetzt leiden, so kann
ich doch diesen Zeiten der Trennung nicht böse sein. Sie zeigen
mir mein Wesen, meine Liebe von einer neuen Seite, bilden beide
schöner aus und geben uns beiden doch auch Freude, so eine Glut
der Erinnerung, so ein dämmerndes Licht des bald nah, bald fern
erscheinenden Glücks, selbst so eine süße, süße Wehmut des Ent-
behrens. Keinen Moment kann ich verloren erachten, in dem ich
Deiner mehr wert werde, in dem meine Seele mehr eins wird mit
dem Bilde, das sie in sich trägt von Dir, Du angebetete Liebe.
Trage mich nur ewig in liebendem Herzen, meine Li, nimm den
armen Bill ewig in Dir auf, verstoß ihn nicht aus der Heimat,
ohne die er gleich einem armen Verbannten durch kein Band mehr
an irgend ein fühlendes Wesen gebunden wäre, und er wird ewig
glücklicher sein, als je ein menschliches Wesen es zu sein, zu ahnden
vermochte. Welch Schicksal fürchten wir, Li, solange unsre Seelen
in dieser Verschwisterung jede nur in der anderen sich suchen? Ach!
das Schicksal fürchtete ich nie. Ich fürchtete das Hinschwinden
innerer Kraft, das Hinblühen ungenossener Jugend, die tötende,
kalte Gefühllosigkeit. Gib mir reges Leben und rüstige Kraft in mir,
und jedes Schicksal ist nur ein Stoff, an dem meine Seele sich übt.
Durch alle Gefühle muß sie gegangen sein, jede Qual durchlitten,
jede Freude genossen haben, ehe des belohnendsten Gefühls seine und
anderer höchste Wonne sie zu erfüllen vermag. O! Li, Li, darum
liebe mich nur, und ich bin glücklich, solange ich atme. Aber liebe
mich, liebe mich, Li, hab Erbarmen mit Deinem Bill, dessen Blüte
dahingewelkt, dessen Kräfte vernichtet, dessen Wesen weggehaucht
ist, wenn Deine Liebe ihm fehlt. Oft wird Dein Wilhelm noch

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