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[   Band 1 Brief 85:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], 25. Oktober 1790, abends   ]


nicht weniger — aber es hebt mich wieder der Schmerz, und es
sinken die Nebel, die mir den Blick in die Ferne hemmen. Ge-
danken des Glücks, Gedanken ewig neuschaffender Liebe drängen
und füllen ohne Maß und Ziel meine Seele — ach, und alle —
so einzig geschöpft aus Dir, aus dem, was mir allein Dein Wesen
ist, Deiner Liebe, alle zurückströmend zu ihrem Urquell — o Du
wirst glücklich sein, wenn Liebe Glück zu geben vermag, unaus-
sprechlich und mehr als es je ein Wesen war. —

                                                 Dienstag abend
Ich wollte Dir heut noch so viel schreiben, mein Bill, und
kann’s nun nicht. Wir hatten viel Gesellschaft, und der Zwang
und das ewige Reden um nichts und vor nichts zerstört mich un-
glaublich. Meine Brust leidet an den schmerzlichsten Krämpfen —
vergib mir also, mein einzig süßes Wesen. Li legt sich nun zu
Bette und schont sich um Bills willen, der es befohlen hat und
dem sie sich ach so gern erhalten möchte. Morgen reise ich nach
Rudolstadt, ich wünschte so innig, nicht krank bei unsrer Caroline
zu sein. — Die Schmidtin ruft mich, ich soll mich hinlegen —
nun so lebe wohl, mein süßes, holdes Leben. Leb wohl und sei
nicht besorgt.


86. Humboldt an Caroline                           Berlin, [Datum fehlt]

Sonst sagt ich oft, ich könnte mir keine Lage denken, in der
ich unglücklich, und keine, in der ich glücklich wäre, und es
war wahr in mir. Denn alle jugendliche Kraft zu geben
und zu genießen hielt ich erstorben, mit so kaltem Blick sah ich auf
alles, meine Freuden und Leiden hin, wie auf eine fremde Ge-
schichte. Das Glück hab ich nun kennen gelernt! ach! kennen ge-
lernt? o! möge jeder Moment mir verzeihen, wo mein Blick dein

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