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[   Band 1 Brief 84:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Donnerstag abend [21. Oktober 1790]   ]


                                                       Sonntag morgen
Gestern war ein alberner Tag. Die Menschen, die von Frank-
furt zurück sind, überlaufen einen wie toll, von den Herrlichkeiten
bei der Krönung *) zu erzählen, denn wofür hätten sie sonst ihr Geld
hingegeben, wenn sie nicht davon schwatzen könnten? Von der
Langeweile der hiesigen Gesellschaften, wenn Dalberg fehlt, hat man
keinen Begriff. Ich möchte sie jetzt nicht tragen.
. . . Manchmal kann ich mir wünschen, ein trüber Nebel um-
hülle dauernd das schöne Antlitz der Sonne und die freundliche
Tochter der Nacht, bis ich Dich wiedersähe, o, und wenn ich das
machen könnte, Bill, jetzt in ein einsames, hochgelegenes Schloß
verbannt zu sein, wo ich kein menschliches Angesicht sähe, ich glaube,
mir könnte recht wohl sein. Lebe wohl, Bill. Wenn Du Freitag
diesen Brief empfängst, so denke mich bei Caroline in Rudolstadt.
Mittwoch reise ich mit Papa hin, und Sonnabend komm ich zurück.
Ach, vielleicht empfange ich aus ihrem Anschauen einen stilleren
Geist. Sieben Monat sah ich das teure Geschöpf nicht. Lebe
wohl. Der Brief muß zur Post.


85. Caroline an Humboldt               [Erfurt], 25. Oktober 1790, abends

Es macht mich immer so glücklich, mein teurer, einziger
Wilhelm, wenn Du mir von Dir selbst schreibst; wie
diese oder jene Idee sich in Dir gebildet, welchen Einfluß
äußere Lagen und Verhältnisse auf Dich gehabt haben. Es be-
stätigt mich in manchen Lieblingsideen, es bildet neue Gedanken in
meiner Seele, und was mir das liebste ist, es gibt mir eine immer
vollkommenere Ansicht, ein reineres, lebendigeres Gefühl Deines
wahrlich unaussprechlichen Wesens. Ja, einzig ist diese Einheit

———
*) Leopolds II. zum deutschen Kaiser.

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