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[ Band 1 Brief 84: Caroline an Humboldt [Erfurt], Donnerstag abend [21. Oktober 1790] ]
84. Caroline an Humboldt [Erfurt], Donnerstag abend [21. Oktober 1790] Ach, was bist Du für ein wunderbares Wesen. Ich komme oft stundenlang nicht davon zurück. Diese seltene Fülle des Geistes, diese unaussprechliche Feinheit in der Emp- findung und im Umgange, und dieser unbefangene kindliche Sinn, wo findet man das noch vereint? Eins um das andere hinzugeben käme man in die Versuchung, wenn man wählen müßte, und nun das alles in einem Wesen, jedes in seiner höchsten Fülle und Schönheit, jedes so selbständig und doch so unnachahmlich ver- schmolzen in ein Ganzes — lieben, lieben kann ich Dich, Bill, und mich freuen, daß ich Sinn habe, Dich zu empfinden, zu fassen, in der Seele zu tragen ——— aber verdienen kann ich Dich nie. Verzeih, wenn ich dies so oft sage, aber Du mußt immer wissen, wie ich mich fühle — die Empfindung jedes Moments möcht ich mit Dir teilen. O Bill, oft mein ich, sie nicht mehr zu tragen, diese schmerz- liche, das Leben zerstörende Trennung, und oft bin ich wieder so stark, daß Du Dich freuen würdest, wenn Du mich sähest. Hin- gegeben dem stärkeren Schicksal, ruhig, weil ich die eiserne Not- wendigkeit über mir fühle, war ich noch nie seit unsrem letzteren Zusammensein. Meine Seele widerstrebt der Gewalt, die sie nicht anerkennt. Brechen kann sie mein Wesen, das fühl ich wohl zu- weilen, aber nicht beugen. O ich verbannte mich selbst tausendmal lieber und auf ewig aus Deiner Nähe, als daß ich mich Dir hin- gäbe weniger, als Du mich liebtest, geschmälert an meinem inneren Gehalt. Ich liebe Dich ja, groß und heilig, und unentweiht muß ich Dich empfinden, um ein Gefühl des eigenen Daseins zu emp- fangen, und könnt ich das, wenn Du ein Wesen liebtest, das Dich nicht zu verdienen strebte? — Ach, Bill, nie erreichen werd ich das Ziel, aber schon das Ringen danach ist Veredlung, ist Seligkeit! — 253