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[ Band 1 Brief 79: Caroline an Humboldt [Erfurt], Freitag, 1. Oktober 1790 ]
klar, verborgen in den Tiefen meines Herzens entgingen sie auch Deinem Blick. Wunderbar war dieses verschlungen, o selig, selig hat es sich gelöst. Du bist ja nun mein, und ich fühle, wie Du mich in Deiner heiligen Seele trägst. Einziger Geliebter, ja wir sind Eins! Was so innig angezogen, verwebt, sein Dasein nur in dem Dasein des andern fühlt, das trennt kein Schicksal, das findet sich wieder unter allen, allen Gestalten, begegnet, erkennt sich! Wir werden sein! mir wird so licht, so hell in der Seele — o ich bedarf nicht der Zukunft, doch fühl ich, daß sie mir ist, was die Hoffnung des Morgens im Genuß eines stillen, heiteren Abends mir schon oft war. Der Blick schwimmt trunken im glühenden Abendrot — ganz verwebt in die Feier der schönen Natur fühlt sich unser Wesen nicht mehr getrennt, fühlt sich selig dahingegeben, zerflossen, Eins mit ihr — und doch wendet sich unser Auge nach Osten, und wir sagen uns: »Dort wird die Sonne wiederkommen und einen neuen, schönen Tag heraufbringen.« War’s Dir nie so? und entweihte Dir das Ahnden der Zukunft den Genuß der Gegenwart? — O mich dünkt die Verschwebung unsrer geistigsten und menschlichen Kräfte in diesem rastlosen Streben in die Ferne mitten im Genuß des gegenwärtigen Daseins zu fühlen. — Ich war heut in der Komödie. Es machte einen sonderbaren Eindruck auf mich, dieselben Akteurs wiederzusehen, die uns in Weimar so ennuyiert hatten. Der ganze Abend kam mir wieder im Sinn und der schmerzliche Morgen — Du weißt’s auch gewiß noch. Ich weinte viel, es war zum Glück eine Tragödie, die Leute meinten, ich sei vom Inhalt so gerührt. Gegen das Ende des Stückes faßte mich auf einmal jemand bei der Hand. Es war Dominikus *). Ich erschrak, er sieht entsetzlich aus. Ich glaube nicht, daß er noch lange lebt, und es freute mich, wenn er stürbe. Es freute ihn auch. Ich fühlt es an ihm. Er ——— *) Professor, vermutlich im Gefolge des Koadjutors. 236