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[ Band 1 Brief 79: Caroline an Humboldt [Erfurt], Freitag, 1. Oktober 1790 ]
79. Caroline an Humboldt [Erfurt], Freitag, 1. Oktober 1790 Ich habe nur noch eine Art des Glücks, mich hinzugeben ganz dem Schmerz, der das Leben der Seele ergreift. Wenn er den höchsten Punkt erreicht hat, wandelt er sich in Wonne, dann folgen Momente des Friedens, der Stille, von denen ich vorher keine Ahndung hatte. —— Ach, sie ist nicht dauernd, diese Stimmung, oft weine ich auch, schmerzlich und süß sind diese Tränen, und dann unter den Menschen so herumzugehen, eingehüllt in meine eigene Seele und mir zu sagen, Du bist allein, es kennt Dich niemand — es hat etwas sehr Schmerzliches, aber ich weiß nicht, es hat auch etwas Großes — und es liegt doch im Menschen, an- gezogen zu werden vom Schweren. — Wohl erinnere ich mich des Abends, wo ich auf das Karten- blatt schrieb, ach, und des Morgens, wo Du kamst, Abschied zu nehmen. Mir war doch sehr weh. Es war viel die Rede von Carl seinen Aussichten im Dienst, seinem Avancement, ich fühlte so, wie Dir die Idee einer Verbindung mit mir ganz fremd war, nie hatt ich sie mir gedacht, aber nun fühl ich wohl, daß sie doch dunkel in mir war, denn warum hätt es mir denn sonst weh ge- tan? — Du gingst, ich lief schnell die Treppe hinauf, um Dir aus meinem Fenster nachzusehen; bis wo sich die Straße wendet, verlor ich Dich nicht aus den Augen, und Du — wandtest Dich nicht einmal um. — 10 Uhr Nein, nicht einmal wandtest Du Dich um, und mir war wunderbar weh und beklommen, o ich weiß noch alles, alles. Einen Abend saßen wir auf dem Sofa, Papa ging aus dem Zimmer, da schlossest Du mich so innig, so heiß an Dein Herz — ich fühlte seine verdoppelten Schläge, ich hatte Dich und hatte Dich nicht — ich wußte nicht, ob Du Dich gabst — ich nannte Dich mein Bruder, um das mein auszusprechen, und jedesmal ergriff’s mir schmerzlich die Seele — aber meine Gefühle waren mir selbst nicht 235