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[ Band 1 Brief 72: Humboldt an Caroline [Berlin], Freitag früh 6 Uhr, 17. September 1790 ]
aber viel ungestört, an eigentlichem Wert des Charakters bleibt sie mir immer hier die erste Frau, obgleich nicht an Vergnügen des Umgangs, denn mich greift es an, sie zu sehen, weil ich sie besser kenne und besser weiß, als sie so erscheint. . . . Laroche läßt Dich grüßen und wird Dich noch in Erfurt sehen. Und ich? ich werde Dich auch in Erfurt sehen, gewiß, heilig gewiß, meine Li, wenn es nur irgend möglich, und in der Tat seh ich nicht eben, was mir dazwischen kommen kann. Ach! an diesem Sehen hängt jetzt meine ganze Seele, o! und nicht wahr, auch die Deine? Gewiß werd ich wieder sehr beschäftigt sein, bis zu der Zeit. Bin ich’s auch nicht durch Geschäfte, so werd ich’s selbst machen. Denn das ist mein einzig mögliches Dasein, fern von Dir, daß ich eine Arbeit nach der andern die Zeit verdrängen lasse. Dann kommt einmal eine Stunde ruhigen Andenkens dazwischen, Gott! und die ist mir dann auch doppelt süß, weil die Seele lang nach ihr gerungen hat. Aber ewig lebt Dein Bild, die Idee Deines Wesens, unserer Liebe in mir, das ist nicht einzelner Gedanke, das ist Stimmung, Dasein der Seele. Was ich denke, rede, treibe, ich fühle Dich, und Dich und mich durch ewige, durch die schönste, höchste Liebe verknüpft. Nun ein Kuß hierher und lebe wohl! 73. Humboldt an Caroline [Berlin], Montag, 20. September 1790 Ich kam gestern so spät von Tegel, liebe Lina, daß es mir nicht möglich war, Dir noch zu schreiben. In Tegel herrschte die längste Luft, deren ich mich je erinnere; es waren sehr unangenehme Menschen da, die mich unaufhörlich be- lagerten. Mein erstes Geschäft hier in Berlin war die Verbreitung 218