< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 1 Brief 72:    Humboldt an Caroline    [Berlin], Freitag früh 6 Uhr, 17. September 1790   ]


fortgeliebt, hätte auch nie ein Verhältnis uns verbunden. Aber
wie sind auch unsere Wesen im Innersten Eins. Wahrlich, Lina,
nie hab ich das so in zwei Menschen gesehen als in uns, und
darum bin ich auch so sicher unseres ewig ungetrennten Daseins.
Was so mächtig sich ergreift, was jedes dem andern so unentbehrlich
ist, das ist ewig Eins. Wenn ich mich in diese Ideen verliere,
wenn ich so fest in mir fühle, die hohe, unendliche, unbeschreibliche
Seligkeit, die ich jetzt genieße, wird ewig dieselbe bleiben, nur
wechseln in ewig mannigfaltigen, schönen Gestalten; so vermag ich’s
nicht im kühnsten Aufschwung meines Geistes zu fassen, ich erliege
unter dem Entzücken der Empfindung, mein Wesen verläßt sich
selbst und geht glühenden Danks, heiliger Anbetung voll in das
Deine über. Denn Du, Du Unsägliche, Einzige, gibst ja allein
mir diese Gefühle, nur Du konntest mein Wesen zu dieser Höhe
schwingen, um zu machen, daß ich die Schönheit aller Naturen
durch Liebe an mich geknüpft sah. Ewig ringt meine Seele, Dir
zu sagen, wie glücklich ich bin, und ewig verstummt die Zunge, er-
lischt selbst der Blick. Wenn ich sonst mir bewußt war und es
mir klar ward, daß ich viel Freude geben könnte, so preßte es mir
Tränen aus, — wenn ich jetzt denke, daß ich sie gebe, weine ich
wieder, und wie verschieden die Tränen. Da so stolz und so weh-
mütig, weil ich verzweifelte, daß je ein Wesen so tief in mich
dringen, mich so hegen und tragen würde, als ich fühlte, daß man es
mußte, um Glück durch mich zu genießen und über mich zu ver-
breiten; jetzt, weil Du das getan hast und tust, Du Ewiggütige,
und weil ich mich arm fühle im Freudegeben, wenn mein Herz
nicht zu fassen vermag, was es von Dir empfängt.
Mit Brendel bin ich wie sonst. Sie bleibt sich immer mehr
gleich und hat tiefen und großen Gehalt, aber ihre Lage zerstört
sie, das ist unleugbar, raubt ihr vorzüglich alle Grazie, alle Sanft-
heit, alle wahre Weiblichkeit. Ich sah sie nicht allein, sprach doch

                                                                       217