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[ Band 1 Brief 71: Caroline an Humboldt [Burgörner], Freitag abend 10 1/2 Uhr, 17. September 1790 ]
Sonnabend abend Heut war ich auf der Mohnenburg — Du erinnerst Dich viel- leicht des kahlen, kegelförmigen Berges, den Papa so nannte. Es trieb mich, ich weiß nicht was, daß ich hinauf mußte. Ich kannte keinen Weg, aber was tat das. Die Sonne ging eben unter, wie ich auf den Gipfel kam, und ans dem Tale stieg in wunderbaren Gestalten der Rauch der Hütten auf. Die Landschaft ist von dieser Anhöhe nicht übel, aber doch bei weitem nicht so schön wie von dem Lindenberg. Man sieht von der Mohnenburg wenig vom Küsterholze und gar nichts von den Ruinen der alten Kirche, das tut nicht gut. Doch vielleicht war’s etwas anderes, warum mir die Aussicht nicht gefiel — es kam mir so auf einmal in den Sinn, wie ich oben stand, daß ich da nie mit Dir gewesen, und mir wurde unheimlich und weh bei dem Gedanken. Ich mußte fort — ach, Bill, schmähle nicht, der Weg, den ich herauf gegangen war, war abhängig, mir aber viel zu lang, um ihn zurück zu machen — ich war ihn ja nie mit Dir gegangen — also mußt ich gerade herunter, wo der Berg steil und steinigt ist. Ich wagt es nicht ohne einen Stock in Schuhen mit hohen Absätzen — zog sie also aus und lief so herunter. Aber die armen Füße sind wund geworden. Lieber Bill, zürne nicht mit Li — Li will’s nicht wieder tun, hat die Füßchen auch schon gewaschen, und Li verspricht auch, daß sie nie wieder hingehen will, wo sie nicht mit Dir war. Sei nur nicht böse. Wie ich den Berg herunter war, hinkt ich langsam nach Hause, als ein acht- bis neunjähriger Junge aus einem Bauernhause auf mich zu- gelaufen kam: »Schöne Jungfer, geb sie mir doch einen Groschen«, sagte er. »Was willst Du mit einem Groschen?« »Mir einen Hut kaufen.« »Den kaufst Du nicht dafür.« «Ich habe mir schon was gesammelt.« »Wieviel denn?« «Einen Sechser.« — Ich hieß ihn mit nach Hause gehen, und unterwegens frug ich ihn, ob er mich kenne. »Nein«, sagte er. »Warum hast Du mich denn angesprochen?« 213