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[ Band 1 Brief 71: Caroline an Humboldt [Burgörner], Freitag abend 10 1/2 Uhr, 17. September 1790 ]
71. Caroline an Humboldt [Burgörner], Freitag abend 10 1/2 Uhr, 17. September 1790 Die Abende sind wieder so schön, daß ich sie noch lang ge- nießen kann, wenn Papa in seiner Stube ist. Ich bin kaum aus der Allee zurückgekommen, welche Stille, welches Schweigen da herrschte, in welche Erinnerungen war meine Seele aufgelöst. Schmerzlich und wonnevoll und mein innerstes Leben ergreifend treibt es sich auf und ab in meinem Busen, wirft mich hin und her, bald hinaus auf ein stürmisches Meer, wo ich mit den Wogen kämpfe, den Untergang ahndend voraussehe — bald wiegt’s mich in Ruh am Gestade, schöne, leicht hinschwebende Ge- stalten bewegen sich vor dem neuerschlossenen Sinn — ich ver- nehme eine entzückende Melodie — fühle mich hingezogen zu allem — fühle mich verschwistert und verbunden mit allem — aber es reißen die Fäden, und in dem Moment, wo ich alles Außere in mir aufzunehmen, mich ganz hinzugeben strebte, bin ich zurück- geworfen, bin allein — was ist das, frag ich dann, wohin wird es mich leiten? — wo knüpf ich die zerrissenen Enden wieder an? Weh! und ich vernehme keine Antwort — kein Laut begegnet der sehnenden Seele — traurig sink ich in mich selbst zurück, wünsche alles und wünsche nichts und fasse keinen hellen Gedanken und vermag mich an nichts anzuhalten. — Ach, ich fühl es, dann ist der gute Genius meines Lebens von mir gewichen, dann erstirbt jede rege Kraft, und im Erschließen welkt jede Blüte. — Ach, Bill, ich bin Deiner nicht wert — widersprich mir nicht, laß mich’s ganz fühlen — vielleicht, was Du jetzt nicht denkst, vielleicht aber siehst Du’s selbst einmal — dann erinnere Dich, daß ich’s Dir sagte, ach, und daß ich dennoch Dich liebte, wie nie ein anderes Wesen Dich lieben kann. — 212