< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 1 Brief 70:    Humboldt an Caroline    Berlin, Donnerstag, 16. September 1790   ]


heute schon mehrere Gratulationen bekommen, eine unter anderen,
stell Dir vor, wie schön, zur Veränderung des Standes der Frei-
heit. Bedauerst Du mich nicht, Li, daß ich meine goldene Freiheit
nun so verlieren soll? . . .
Ich war heute in Tegel, Li, ein paar Stunden schweift ich
allein umher. O! wie ich bei Dir war, wie ich Dich dachte, wie
bald Tränen der frohen, entzückenden Erinnerung, bald verzehrender
Sehnsucht rollten . . . Wenn ich nur wüßte, wie Dir es wäre!
Ich ahnde, ich weiß, daß Dir ist wie mir, still, aber so tief, so
schmerzlich bewegt, und doch möchte mein Wesen vergehen vor
heißer Sehnsucht nach einem Laute des Deinen. Aber Du fassest
es kaum, meine Lina, wie unendlich glücklicher ich jetzt bin, als
ich zu Dir kam. Verzeih mir, trage mich, aber ich konnte es noch
oft nicht mit diesem Gefühl der innersten, heiligsten Wahrheit
denken, daß Du so, in diesem Umfang und Grade der Empfindung,
mich liebtest, daß Du so glücklich wärest im Zusammensein mit mir,
ach! nur im Gedanken an mich. Jedes Gefühl, jede Idee, die mir
recht viel Glück geben soll, muß ich, möcht ich sagen, mit Schmerzen
aus mir hervorgehen lassen. Meine ganze Seele ist gleich so bang
und doch so süß gedrängt; was ich hervorbringen, was ich fassen
will, scheint mir so viel, so reich, so schön, ich so ärmlich, meine
Kräfte so schwach. So war’s mir mit der Gewißheit Deiner Liebe.
Tief lag sie freilich in den dunklen Ahndungen meiner Seele. Aber
sie klar aufzunehmen, sie ganz zu denken, mich ganz in sie zu ver-
lieren, ach! das kostete mich so unendlich. Jetzt ist die Unruhe, die
Sorge verschwunden. Wie ein schönes, mühsam geborenes Kind
heg ich nun das wundervolle Gefühl, das mir so in jeder Gestalt
höchster Seligkeit erscheint, bald so hehr und groß und bald so
süß und so sanft. Dieses Wogen und Wechseln der Empfindungen
war mir immer so eigen, diese bange, schmerzliche Wehmut, und
dann daraus hervorgehend so unendlich entzückende Seligkeit. Immer

                                                                       210