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[ Band 1 Brief 70: Humboldt an Caroline Berlin, Donnerstag, 16. September 1790 ]
70. Humboldt an Caroline Berlin, Donnerstag, 16. September 1790 Ich bin wieder hier, meine Li, mit welchen Empfindungen, vermag ich Dir nicht zu beschreiben. Mit wie ängstlich beklommenem Herzen ich die Türme schon von ferne er- blickte, wie schwer die Idee auf mir lag, nun wieder ein einsames, getrenntes Leben zu führen, so fern von dem Wesen zu sein, wo ich allein atme, empfinde, o! Du teilst ja jedes dieser Gefühle mit mir, Du weißt, wie mir war. Kaum war ich ins Zimmer zu Kunth getreten, so gab er mir Deinen Brief. Ach, Lina, wie erheiterte der Moment auf einmal meine ganze Seele! O! wie Du so sorg- sam bist, mir Freude zu geben, liebe, holde Seele. Welche Tage werden mir an Deiner Seite hinfließen, wie in ewiger entzückender Wonne. Du, Du allein kannst lieben, Du allein die höchste, sonst jedem Sterblichen unerreichbare Seligkeit gewähren. Die Güte und die Stärke, die o! wahrlich übermenschliche Größe. Wie Du da standest in dem Moment unserer Trennung, wie Du mir sagtest: »Nun geh.« Ich sah den schrecklichen, schmerzlichen Kampf in Dir, und Du bliebest, wie Du sein wolltest. Nenne Dich nicht schwach, süßes Leben. Gerade diese unendliche Reizbarkeit, verbunden mit dieser festen Stärke, ist so unnachahmlich schön . . . . . Mit der Art, wie ich Kunth und meine Mutter fand, bin ich sehr zufrieden. Ich fühle, daß meine Abwesenheit sehr gut gewirkt hat. Die Idee unserer baldigen Heirat ist ihnen beiden so geläufig geworden, daß sie mir beständig davon und von allen nötigen Ein- richtungen sprechen. Meine Mutter scheint sich auch mehr daran gewöhnt zu haben, mich nicht lang mehr hier zu behalten. Mit allen übrigen Einrichtungen ist sie zufrieden, auch mit unseren Finanzen. Sie hat nicht erwartet, daß Papa Dir mehr geben könnte, und meint, wir würden damit auskommen. Bekannt ist unser Verhältnis indes in der ganzen Stadt geworden. Ich habe 209