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[   Band 1 Brief 69:    Caroline an Humboldt     Dienstag nacht 1/2 4 Uhr [14. September 1790]   ]


— aber da sah ich Dich nicht mehr. Nun sitz ich da und blicke
alle Augenblick nach Dir in der Stube umher und sehe Dich nicht.
Wo bist Du, Bill? Ach, erscheine Deiner Li. Der Tag ist so
hingegangen, ohne daß ich Dir etwas davon sagen kann, ohne daß
ich etwas getan hätte. Ich habe gar kein reges Gefühl des Lebens
mehr — es ist eine Leerheit des Sinns in mir, vor der ich schaudre.
Schmäle mit mir, Bill, aber zürne nicht — ich will mich zusammen-
nehmen, gewiß, ich will, ich will etwas tun. Sieh mir nur noch
ein wenig nach — es kann nicht so bleiben, es wird besser werden
— ach, zürne nicht. Gib mir bestimmt auf, etwas zu lernen oder
zu tun oder zu lesen. Ich bitte Dich, tue das. . . .
Papa hat mir eine moralische Vorlesung über das Blaßaus-
sehen und stilles Grämen gehalten, die, wie Du denken kannst, sehr
erbaulich war. Eigentlich habe ich sie mir zugezogen, weil mir kein
Wort über Dich entgeht — so was ist Papa noch nicht vorgekommen,
er hat zur Sch[midtin] gesagt, ich sei ihm ein unbegreiflich Geschöpf.
Aber was soll ich über unsre Trennung reden und nun gar gegen
ihn? Ach, der Schmerz, der mich so ganz füllt, ist das liebste, was
ich habe, und ich würde glauben, ihn durch Worte zu entheiligen.
Meine Brust ist ruhig geblieben alle die Tage. Ach, es ist,
als wollte nichts in mir die Arbeit meines Herzens unterbrechen.
Wie ist Dir, mein einzig süßes Leben?
Schiller und Lotte werden bald einige Wochen in Rudolstadt
zubringen. Caroline grüßt Dich, sie ahndet unsre Trennung und
wird mich bald in Erfurt besuchen. Ach, welcher traurige Winter
ist dieser für uns drei. Weh — mir ist so oft, als gäb es keine
Zeit mehr nach diesem Winter — keinen Frühling. —
Lebe wohl, wohl. Mann meiner Seele, lebe wohl.

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