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[ Band 1 Brief 69: Caroline an Humboldt Dienstag nacht 1/2 4 Uhr [14. September 1790] ]
meine Seele — ich fühle Dich wieder und leide und weine wieder. — Ach, was kann ich Dir dafür geben? — Du hast mein ganzes Wesen. O Bill! Dich und Dein eigen Dasein, das in immer höherer Fülle und Schönheit in mir blühen soll. — Ich halte Deinen lieben Brief, bedeck ihn mit tausend Küssen, ach, benetzt von meinen heißen Tränen leg ich ihn an Dein Herz. Freue Dich, daß ich wieder weinen kann — freue Dich, Bill, daß ich nun kein Leiden, keinen Schmerz mehr fürchten darf, da ich noch so namen- los glücklich zu sein vermag in dem unendlichen Weh, das mir den Busen füllt. Ich kann nicht mehr schreiben, die armen Augen bitten, »vergib uns, Bill, wir können das Licht nicht ertragen«. Leb wohl. Mittwoch abend 10 Uhr Gestern und heute habe ich, nachdem ich Papa gute Nacht gesagt, eine Stunde am Fenster gestanden und da mit unverwandten Blicken den Mond und den Wagen, unser Lieblingsgestirn, ange- sehen. So tröstend ist der Gedanke, daß auch Deine Blicke da ruhen, ach, daß vielleicht in einem Moment dieselben Bilder der Vergangenheit in Deiner und meiner Seele aufdämmern. . . . Donnerstag abend Nun bist Du doch gewiß angekommen, bist vielleicht, da ich dies schreibe, im Palazzo di noja.*) Ach wüßt ich nur erst, daß Du da bist und wohl angekommen —— bis Mittwoch ist’s noch so lang. — Ich bin wohl ein Kind mit meinen Erscheinungen, aber ich bleibe doch dabei, heute habe ich Dich gesehen. Wie ich nach Tisch von Papa gegangen war und in mein Zimmer trat, standest Du auf den Stuhl gelehnt, der vor dem Klavier steht, in Deiner Pekesche mit einem weißen Tuch um den Hals, wie Du gewöhn- lich den Abend zu mir kamst. Ich habe mich auch gar nicht er- schrocken — setzte das Licht auf das Klaviergestell und blickte auf ——— *) Schloß der Langeweile (Tegel). 207