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[   Band 1 Brief 64:    Caroline an Humboldt     [Burgörner], den 2. Julius 1790,   ]


auf die Post geschickt werden soll . . . mein heutiger Brief kann
Dir wenig Freude machen, es kommt mir vor, als hätt ich eine
Zeitung geschrieben. Lebe wohl, ach, es ist mir, als könnt ich nicht
aufhören — lebe — lebe wohl. Ich muß —


65. Caroline an Humboldt  [Burgörner], Dienstag abend den 6. Juli
                                                      1790, 2 Uhr

Ich kann mich nicht zu Bett legen, solange der Bote, den
ich auf die Post geschickt habe, noch nicht zurück ist. O
Wilhelm, was ist das für ein Harren, für ein ängstlich
süßes Gefühl, jedem Geräusch fliegt mein Herz entgegen — ich atme
leiser, um den Tritt meiner Sch[midtin] nicht zu überhören — werd
ich einen Brief bekommen — werd ich keinen? — nein, Du hast mir
geschrieben, gewiß, wären’s auch nur wenige Zeilen — lieber Trauter,
mögest Du fühlen, welcher Hauch des Lebens mich aus jedem
Deiner Blätter anweht, welcher Frieden — ach, sag nicht mehr,
Deine Briefe gäben mir weniger als Dir die meinen. Das hat
mir letzt so weh getan. Meinst Du, ich könne glauben, Deine
Blätter erschöpften Dein Herz, Deine Empfindung? — O könntest
Du fürchten, daß meine Seele Deine Liebe weniger empfinden, in
sich verweben würde, wenn sie ihr verschleiert erschiene? O, dieser
Schleier ist für den Ausdruck Deiner Empfindung nur in Deinen
Augen, und ebenso geht es mir. Er zerfließt vor dem anderen, die
liebende Seele gibt namenlosen Gefühlen die Gestalt wieder, die
sie durch Worte verloren haben. — Nimm diesen Glauben in Dir
auf — selig wohnt er in meinem Innern. Soll ich Dich weniger
glücklich denken denn mich? Ach, liebstes Herz, meine Ruhe, ist
sie wohl etwas anderes als ein Kind der Deinen? —

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