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[ Band 1 Brief 56: Caroline an Humboldt [Burgörner], den 16. Jan. 1790, morgens ]
strömte mein ganzes Wesen — ach ich sehnte mich so, auszugießen an dem Busen eines liebenden Wesens meine volle Seele, und doch blieb ich so ruhig. Ewiger Vater! ach so lang schon konnt ich nicht beten, aber diese Momente der Fülle und des Friedens — sind sie Dir nicht das liebste Gebet? — . . . Im Zurückkommen vom Spaziergang ging ich allein durch den kleinen Busch, in dem die Laube ist, es war alles so schön, das Laub so erfrischt, und auf jedem Hälmchen zitterte ein Tau- tropfen, die Nachtigallen schlugen ihre süßen Lieder, und von den wilden Rosenbüschen wehten balsamische Düfte — ich kann Dir nicht sagen, mein Wilhelm, wie mir war — ich konnte das alles so aufnehmen in mein Herz, mich verweben in diese jugendliche, blühende Natur — wohl mir, daß ich’s konnte. — Dein Herz ist mir heilig — o, wie manche süße Stunde denke ich seinem Gang, dem Gewebe seiner Empfindungen nach — dieser feine Sinn vor allem, besonders für Weiblichkeit, diese Festigkeit, diese Kraft und diese Weichheit des Gefühls — wie so selten ist das alles vereint —— Wilhelm, wie namenlos glücklich bin ich in Dir. Ich höre so lang, seit vierzehn Tagen nichts von Carolinen. Es macht mich fast bang. Lebe wohl. Ich muß schließen — ich schließe Dich ans Herz. 57. Humboldt an Caroline [Berlin], den 19. Juni 1790 Die Stelle, die Du mir in Deinem Briefe aus meinem Zettel, eh ich nach Paris reiste, wiederholst, hat mich heftig ergriffen. Es war mir unmöglich, es beim ersten Anblick für meine Worte zu halten. Ich wagte es damals nur so selten, mich ganz auszusprechen, und es liegt da in jedem Ausdruck so eine lang und tief verhaltene Fülle heftigen Gefühls. Mein Herz 166