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[   Band 1 Brief 56:    Caroline an Humboldt     [Burgörner], den 16. Jan. 1790, morgens   ]


Wilhelm bald ein e, bald ein l zuviel ausstreiche. Es ist ordentlich,
als wäre sie mit dem Namen bestraft, denn sie schreibt ihn selten
recht. O Lieber, was man ein Kind ist und wie — doch ich will
nichts darüber sagen. Sonst war mir manchmal bang, es könnte
Dir manches —— wie soll ich’s nennen — fremd sein an mir, aber
seitdem ich die Gewißheit Deiner Liebe so voll, so selig im Herzen
trage, schwindet auch diese Besorgnis. Meine Stimmung ist sonder-
bar, ich bin heiter, bin ruhig und bin auch alles das nicht — ich
möchte Dir immer schreiben, und indem ich schreibe, genügt’s mir
nicht, und ich fühle, wie den Worten der Geist und das Leben
fehlt — ich träume mich in Deine Arme, und meine Lippen be-
rühren die Deinen — ich schaudre auf, weine, und die Sehnsucht
wirft mir das Herz schmerzlich im Busen herum — siehst Du, so
ist’s mir, und Du fragst nach meinen Arbeiten, meinen Beschäfti-
gungen. Ja, wenn ich was tun könnte. — Malen möcht ich, aber
da verstehe ich wieder dies und das nicht und ärgere mich darüber,
denn wenn es mir so in den Fingerspitzen säße, wie mir die Bilder
vorschweben — mir deucht, da hauchte ich die Glut meiner Seele
aus, man müßte keine schöneren Figuren gesehen haben. Aber
zeichnen, und besonders was ich jetzt zeichne, um etwas mehr zu
lernen — Umrisse, Anatomie — es ist so das Gerippe von der
Sache — laß mich abbrechen, es kommt nichts Vernünftiges heraus. —

                   [Burgörner, 18. Junius 1790], Freitag morgen 6 Uhr
Ich komme von meinem Morgenspaziergang zurück und setze
mich, Dir zu schreiben. Wir brauchen eine Kräuterkur, Papa und
ich, und dabei wird um 4 Uhr aufgestanden und spazieren ge-
gangen. Im Anfang derangierte es mich, aber jetzt fange ich an,
es gewohnt zu werden, auch ist der heutige Morgen so schön —
man muß wohl und heiter sein. Ich ging schweigend hinter Papa,
wie es gemeiniglich der Fall ist, und mein Herz zerfloß so in die
schöne ruhende Gegend — ein neues, süßes, glühendes Leben durch-

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