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[ Band 1 Brief 55: Caroline an Humboldt [Burgörner], Sonntag morgen, den 13. Jun. 1790 ]
mich, Dich mißverstanden zu haben, aber es war nur ein Augen- blick, und ich in dem Augenblick in keiner ruhigen Lage. — Carl überraschte mich gestern abend mit Bükling und dem jungen Gerhard *). Es war ein süßer Moment. Mein Herz ging mir auf bei seinem Anblick in so reiner Freude und zerfloß inniger noch in die Erinnerung der Vergangenheit. Ach, was war es für eine Stunde, in der ich ihn zum letztenmal in meine Arme schloß, noch einen Augenblick lag ich hernach an Deinem Herzen, und ich sah Euch beide nicht mehr. Ich wußte nicht, wie mir geschehen, meine Sinne waren verworren, und erst spät löste sich meine dumpfe Betäubung an Carolinens Herzen in Tränen auf. Ich hörte Deine Stimme noch einmal draußen und gleich darauf das Gerassel des Wagens; Lotte sagte nachher, Du hättest im Einsteigen noch etwas bestellt, ich konnte nicht fragen — wie das Herz solche Momente übersteht, Gott! ich begreife es nicht. — Ich gehe jetzt zu Carln in die Laube. Wie nah wirst Du uns sein, mein Wilhelm. Montag abend Ich habe gestern einen schönen, heitern Tag mit Carln zu- gebracht. Heute ist er wieder fort. Die Stunden in der Laube waren sehr süß, es ist keine geringe Freude, sein schönes Wesen so ruhig, so gehoben und glücklich zu sehen, doch warum sage ich Dir das? ——— Den Abend haben wir Possen getrieben und gelacht — wie ich gewiß nicht seit Weimar. Ich bitte Dich, lern doch Schach, wenn Du es nicht kannst, Du wirst gewiß eine große Freude dran haben, ich wollte Dir es schon lang sagen, aber ich vergaß es immer, jetzt fällt’s mir über die Kindereien ein, die wir gestern dabei getrieben haben, wir hatten einen ordentlichen Leichen- zug veranstaltet bei der letzten Partie, der überwundene König lag auf Baumwolle in einem Schachteldeckel, von den vier Pferden ——— *) Zwei Freunde Carls v. Laroche, gleich ihm im Salinendienst beschäftigt. 163