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[   Band 1 Brief 45:    Caroline an Humboldt     [Erfurt],  Mittwoch, den 28. April 1790   ]


                                                   Abends 10 Uhr
Ich war den Nachmittag spazieren gefahren, und abends beim
Zurückkommen war es so schön, die Luft so warm und mild, der
Himmel so rein, die ganze weite Landschaft schwimmend in den
letzten Strahlen der untergehenden Sonne, und gegenüber der auf-
steigende Mond, mir ward so wohl und dann wieder so bang, ich
atmete mich so aus in dieser schönen Natur, und eine unaussprech-
liche Sehnsucht bewegte mein Herz süß und schmerzlich . . .
Das arme, liebe Geschöpf in Berlin, auf die Du einen so
tiefen Eindruck gemacht hast, dauert mich so. Ein Mädchen mit
dieser Innigkeit und Anspruchlosigkeit der Empfindung kann nicht
uninteressant sein. Begegne ihr ja recht gütig, doch wozu empfehle
ich Dir das, o verzeih, mein süßer Wilhelm. Ach, ein weiblich
Herz ist so zart, und die Liebe zieht es an so leisen Fäden.
                   Alles vergebens,
                   Krone des Lebens,
                   Glück ohne Ruh’
                   Liebe! bist Du! —
Das mag sie sich auch wohl manchmal sagen. Einsame Liebe
— o, es gibt eine Höhe im Leben und unsern Empfindungen, wo
auch sie segensvoll ist, wo das eine, ewig neue und rege Gefühl
uns beglückt, in welcher Gestalt es uns auch erscheine, aber es ist
so wenigen gegeben, sie zu erreichen. Mein Herz ist so weich und
zerflossen, wenn ich an das gute Mädchen denke — schreibe mir
wieder etwas von ihr. . . .

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