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[ Band 1 Brief 42: Caroline an Humboldt Erfurt, den 21. April 1790, abends ]
es nie war und nie mehr sein kann. Wie ist das? O Wilhelm, wie nimmst Du mich ganz, so daß ich nur bin, nur lebe und webe in Dir, und wie gibst Du mich mir selbst so innig wieder?— Ja, immer gewisser wird mir der Gedanke, und welche Wonne ich aus ihm nehme, magst Du selbst fühlen, daß die Natur unsre Herzen einzig für einander bestimmte und schuf — so begegnete sich meine Seele mit keinem Wesen mehr — mir deucht, ich hätte Dir schon einmal von meiner ehemaligen Sorge, von meiner Abneigung für eine nähere Verbindung gesprochen, wenn ich die, die sie mir an- boten, näher betrachtete. Dies ist nichts: über Prätension und un- graziöses Wesen konnte ich nie hinaus, und das wird Dich nicht wundern. Aber warum sollte ich Dir nicht alles sagen, mein Herz entfaltet sich so gern ganz vor Dir. Du kennst Carl wie ich ihn kenne, Du weißt, wie ich ihn liebe, und ob ich vermögend bin, der Schönheit seiner Emp- findungen für mich zu nahe zu treten — ich wäre glücklich gewesen mit ihm, aber nicht so glücklich als mit Dir, mein Wilhelm, und eben darum wäre ich nicht imstande gewesen, ihm das zu geben, was ich fühle, das meine Seele geben kann. In der höchsten, ungebundensten Geistesfreiheit blüht mir einzig und allein der höchste Genuß, ach, und wenn zwei Wesen ihn nicht auf einem Punkt erreichen können, so ist er beiden verloren. Dies wäre mein Fall mit Carl gewesen. Er ist so lieb und gut, seine Seele so treu und rein, aber er bringt alles gern in Formen, bindet sich und andre gern in Pflichten und Regeln und fürchtet sich, sich selbst zu überlassen. Sein volles Glück zu machen, hätte es mich einige Aufopferung meiner liebsten, eigensten Ideen ge- kostet, ich leugne es Dir nicht, und die schönste Blüte der Liebe wäre uns verloren gegangen, denn wo Aufopferung unsrer indivi- duellen Empfindungen nötig ist, muß man auch auf das schönste, vollste Leben der Seele Verzicht tun. 125