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[   Band 1 Brief 40:    Caroline an Humboldt     Erfurt, 14. April 1790   ]


wird. So oft muß ich weinen, — wenn mein überschwellend Herz seine
Seligkeit nicht mehr zu umfassen vermag, o es sind süße, wonnevolle
Tränen, ein Hauch höhern Friedens kommt mit ihnen über meine Seele,
die diese glühende, verzehrende Sehnsucht so oft schmerzlich bewegt.
Nein, teurer Geliebter, nie hätte ich einen Mann gefunden,
dessen Geist und Herz mir mehr gegeben, dessen Wesen mich mit
höhern Gefühlen erfüllt hätte. Du allein konntest mein Herz diesem
neuen Leben aufschließen, diese süße, beglückende Gewißheit, ganz
verstanden zu werden, mir in die Seele legen, vor Dir existiert
mein Geist fast einzig in all der Freiheit, der er bedarf, um sich
lebendig zu fühlen in seinen besten Kräften, es ist auch so gar nicht
eine entfernte Ahndung in mir, daß ich an Deiner Seite nicht den
mannigfaltigen Gestalten meines Herzens und Geistes leben dürfte.
Dies letzte, ich gestehe es, gehörte immer ausschließend zu meinem
Glück. Es ist mir nichts so interessant zur Beobachtung, nichts
so heilig im Zusammenleben, als die Individualitäten eines jeden
Charakters. Sie in einem so engen Verhältnis wie die Ehe respek-
tiert zu sehen, war das einzige, was ich bei dem Mann suchte,
dem ich meine Hand geben wollte — was ich bei keinem fand, der
mir diese Verbindung antrug. Auf Liebe hatte ich längst Verzicht
getan. Ich hatte mich fast überredet, sie für eine süße Illusion
meines Herzens anzusehen. O ich könnte Dir stundenlang von den
Träumen, den scheinenden Widersprüchen meines Herzens reden;
wie manchmal schien mir dieser oder jener Mann angenehm, wohl
gar interessant, so lange, als er mir keine Veranlassung gab, ihn
mir in einem engeren Verhältnis zu denken, aber dann war’s auch
aus. Prätension, Indelikatesse, mißtrauisches Wesen überall, und
diese hätten mein Leben vergiftet. Direkt Böses findet man gewiß
selten unter den Menschen, aber Schwäche, eiserne Vorstellungen
von Pflichten, Unglauben an andre, ungraziöses Wesen, Eitelkeit,
Intoleranz für jede Idee, die außer ihrem Gesichtskreis liegt, dies

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