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[   Band 1 Brief 40:    Caroline an Humboldt     Erfurt, 14. April 1790   ]


alles ist mehr oder weniger in den meisten Menschen verwebt, und
da es mir an der Leichtigkeit, die meinem Geschlecht größtenteils
eigen ist, fehlt, so hätte ich dies alles schwer aufgenommen und
wäre gewiß unglücklich gewesen.
O mein Wilhelm, wie süß ist es, von diesen Betrachtungen
auf Dich zurückzukommen — wie verschwanden alle diese Besorg-
nisse bei dem ersten Blick in Dein einzig schönes, großes Herz!
Teures Wesen, wie knüpft jeder Gedanke meiner Seele mich fester
an Dich, wie bringt jeder Augenblick Nachdenkens über Dich mein
Wesen dem Deinen in dem Maße näher, als es mich von jedem
andern entfernte, den ich mir in diesem Verhältnis dachte. Je mehr
sich Deine Seele vor mir entfaltet, je mannigfaltiger die Gestalten
werden, unter denen mir Dein liebes Bild erscheint, je verwandter
fühl ich Dein Wesen dem meinen, und mit dem reinen Entzücken,
für das die Sprache keinen Ausdruck hat, sehe ich durch Dich den
leisen Wünschen und Träumen meines Herzens Wahrheit und Da-
sein gegeben. O Wilhelm, Wilhelm, wie oft werd ich noch weinen
an Deinem Busen im Übermaß meines Glücks! Ewige Güte, mit
was verdient ich dies Los! O auch das ist so süß zu fühlen,
daß es unverdient ist; der leiseste Anspruch risse aus diesem himm-
lischen Kranz die lieblichste Blume — mein teurer Mann, so nimm
mich, so möge ich Dir still blühen am Herzen, alles, alles ewig
dankend der Liebe.


41. Caroline an Humboldt                       Erfurt, den 19. April 1790

Neuerlich habe ich aber nichts gelesen, das so tief an meine
Seele gesprochen hätte, als der Tasso von Goethe, er ist
mir fast noch lieber wie die Iphigenia, ich werde ihn gar
nicht müde, es ist die schönste Blüte seines Geistes. — Lies doch

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