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[ Band 1 Brief 20: Humboldt an Caroline [Berlin, zwischen dem 15. und 29. Januar 1790] ]
20. Humboldt an Caroline [Berlin, zwischen dem 15. und 29. Januar 1790] Der Anfang fehlt. Wenn in Dir allein seine ganze Glückseligkeit, Befriedigung jedes verborgensten Sehnens des Herzens, Begegnung und Erwiderung jeder Idee und jedes Gefühls finden, ein Leben ohne Dich, wenigstens ohne die ewig rege, ungeschwächte Erinnerung an das, was ich Dir bin, für unerträglicher als die Erstarrung des Todes halten, wenn das Liebe ist, o dann, teure, liebe Seele, dann wurdest Du nie heißer, heftiger, inniger geliebt! O! Gott, ich lebe und webe ja nur in Dir! Hier bin ich nun heute den sechsten Tag. Ich kam den Abend an. Die Lengefeld war eben da. Meine Mutter kam mir bis an die Haustür entgegen und empfing mich sehr gnädig. Frau v. L[engefeld] begnügte sich nicht mit einem Handkuß. Die Szene! Kaum war ich ins Zimmer getreten, so war von Dir die Rede. Die Lengefeld fragte mich nach Dir, und nun vereinigte sich alles in dem Ton, worin mon frère’s Brief geschrieben gewesen war, fortzufahren. Ich weiß nicht, es gab mir doch einen frohen Moment, und nur Dir dankte man so meine heiterere Ankunft. Seit diesem ersten Abend geht nun alles ganz so wie ich’s mir dachte. Mama ist sehr gut, sehr freundlich, voll von Achtung und Liebe zu mir, aber auch durch alles andere noch ebenso drückend als sonst. Kunth mochte mehr erwartet haben, ich bin nur höflich gegen ihn und darf und werde nie mehr sein. Das entfernt auch von seiner Seite alle Familiarität, und wir sind auf dem Fuß, auf dem es allein möglich ist, mit ihm in einem Hause zu existieren. Die alte Tante*) schmeichelt jedem, von dem etwas zu hoffen ist, weiß alle Anekdoten der Nachbarschaft, kriecht vor Maman und schreit hinterm Rücken. Meine Cousine*) fügt sich in die Umstände so gut es geht, ——— *) Holwedesche Verwandte siehe S. 54. 73