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[ Band 1 Brief 15: Humboldt an die Verbündeten Paris, 4. August 1789 ]
In Nordhausen las ich die Briefe von Carolinen, die Du mir gegeben hattest, Lina. Ich fand oft meiner gedacht, o wie ich Dir dafür dankte, teure, geliebte Caroline, wie ich die ganze Fülle Deiner Liebe empfand. Ach! Ihr glaubt es nicht, ich fühle die Wonne, geliebt zu werden, noch viel höher als andre. Denn ich erwarte so gar nicht geliebt zu werden, ich kann mich nie überzeugen, daß es möglich sei, so etwas für mich zu empfinden. So war’s mir auch, als ich zu Dir kam [nach Rudolstadt]. Mir schien’s, als drängten Carl und Lina, nur aus Liebe zu mir, mich Dir auf, nur aus Freundschaft für sie, glaubt ich, würdest Du gütig gegen mich sein, und der Gedanke quälte mich. Als ich Dich den ersten Tag sah, wuchs meine Besorgnis. Ich entdeckte so viel Schönes, Großes in Dir, der Rückblick auf mich — ich war in einer sonderbaren Stimmung. Aber wie wurde ich über- rascht, da Deine Liebe mir mit so schnellen Schritten entgegenkam. O! Caroline, wer kann für Liebe danken? aber könnte man danken, so sollte mein ganzes Leben Dir Dank sein. Ich wollte Dir viel schreiben, Caroline, über Carl, Lina, mich, aber wahrlich, ich kann’s jetzt nicht. Meine Lage, meine Stimmung — in ein paar Monaten höchstens bin ich bei Dir. Ich hoffe, Du bist dann noch allein. Dann laß uns sehen, ob wir auflösen können, was jetzt so ver- schlungen ist. Du mußt mich noch mehr kennen. Die Ideen unsrer ehemaligen Verbindung machten, daß Du und Lina so gleich, so ohne Prüfung mich in Eure innigste Liebe aufnahmt. Täuschet Euch nicht. Ich bin gut, offen, wahr, ich kann nicht unwahr, nicht unedel handeln. Aber ob ich bin, was ich für Dich, Caroline, o! und was ich für Lina sein müßte? Wie hab ich die Tiefe des Gefühls, um der Innigkeit des ihrigen zu begegnen, wie die Fein- heit der Empfindung, um die ihrige nie, auch nur entfernt, zu be- leidigen, wie die fruchtbare Fülle des Geistes, um ihrem Geist ein 51