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[ Band 1 Brief 13: Humboldt an Caroline Göttingen, 22. Mai 1789 ]
kann wenigstens sehr leicht darauf fallen, welche bestimmen zu wollen, und wenn dem Gefühl Grenzen, bestimmte Modifikationen gesetzt werden, so ist jede Freude, o! und vielleicht noch mehr verloren. In jedem ist ja das Gefühl anders, der sagt viel dem Ver- trauten seiner Seele, jener wenig, der kann mehrere mit Liebe und inniger Liebe umfassen, jener nicht. Sollte nun einer verleugnen, was er ist, oder sollen die übrigen sich nicht härmen, wenn er nicht so ist, als er, als ihr Bruder sein sollte? Der Unterschied, der vielleicht nicht wesentlich mit der Verbindung verknüpft ist, aber immer nur äußerst schwer davon getrennt werden wird, ist der: in der Verbindung sieht jeder jeden mit den Ideen an, die er sich von dem Ideal eines Mitglieds gemacht hat; in der bloßen Freund- schaft nimmt jeder jeden, wie er ihn findet, nur freilich am meisten von den Seiten, die am meisten mit ihm selbst harmonieren. Setze nun noch hinzu, daß, wenn — o! und der Fall bleibt doch immer möglich — ein Dritter unser Verhältnis entdeckte, eine Ver- bindung weit strenger beurteilt werden würde als selbst die ver- traulichste Freundschaft. — Ich habe Dir mein ganzes Herz ausgeschüttet, Li, ich habe mit meiner ganzen Offenheit gesprochen, und das mit Zuversicht, weil ich weiß, daß Du hell und klar denkst und unabhängig von den Gefühlen des Herzens, weil ich vielleicht hoffen darf, Dich mit mir einig zu finden, und gewiß erwarten kann, daß Dein Herz mir verzeiht, wenn ich irre. Seitdem ich über die Verbindung denke, hab ich so darüber gedacht, aber ich habe es nicht gesagt, weil ich sah, daß Jette und Carl, zum Teil auch Brendel, so ganz an der Idee hingen. Du, das weiß ich, tust das nicht so, ebensowenig Caroline. Mit Euch kann ich davon reden, und mit Euch muß ich es. Aber ich beschwöre Dich, zeige diesen Brief niemandem außer Caroline. Es würde die andern beunruhigen, wenn nicht kränken. 45