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[ Band 1 Brief 13: Humboldt an Caroline Göttingen, 22. Mai 1789 ]
Gott segnen, der Dir ihn erhielt. Du kennst mich noch nicht, Lina, und der Gedanke quält mich schon lang. Wenn ich es mir denke, daß es Seiten in mir gäbe, die nicht harmonierten mit Deinem Wesen, daß Deine Liebe sich getäuscht fühlte — o! — laß ihn mich nicht vollenden den grauenvollen Gedanken. Nicht alle, meine Lina, urteilen von mir wie Du, wie Caroline, wie die Weiber und Carl. Es gibt Menschen, die mich fühllos, mürrisch, menschen- feindlich nennen, und wenn ich dann manchmal denke: und wer weiß, vielleicht haben sie recht, dann gesellt sich der Gedanke hinzu, Eurer Liebe nicht wert zu sein, und stürzt mich in tiefe Melancholie. Aber dann rechne ich wieder auf Eure Verzeihung, rechne auf das volle, selige Gefühl inniger Liebe, das mich für Euch alle füllt, und nach und nach kehren Ruhe und Frieden in meine Seele zurück. Öde und freudenlos ist meine Kindheit dahingewelkt, in den Jahren des Jünglings hab ich hohe Wonne genossen — ich war ja bei Dir, fühlte ja das ungestüme Pochen Deines Herzens an dem meinigen — aber auch immer habe ich mit entgegen- strebenden Kräften, Besorgnissen, Schwierigkeiten zu kämpfen ge- habt, wie werden die Tage des Mannes sein? Ich werde glücklich sein, wenn ich Gutes wirken kann, denn ich werde dann zufrieden mit meiner Existenz sein. Aber mehr erwarte ich nicht. Gibt mir das Schicksal mehr, schenkt es mir die Wonne, einmal glücklich zu sein im Kreise einer glücklichen Familie, in Deiner und unsrer übrigen Lieben Nähe, o! dann soll mein warmer Dank hinauf- glühen zum Vater, der mir das gab. Empfange ich das nicht, nun — so bin ich gewohnt, zu entbehren, so will ich Verzicht tun auf den Genuß und will wenigstens durch mich genießen lassen, was durch mich des Genusses fähig ist. Ach, es ist mir ein reizender Gedanke, wie wir nach 30, 40 Jahren zurückblicken werden auf unsere Jugend, wie wir uns freuen werden, früher als andere der wahren Lebensweisheit näher getreten zu sein, wie das alles in uns 39