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[ Band 1 Brief 11: Humboldt an Caroline Göttingen, den 20. März 1789 ]
Ich bin überzeugt, daß, wenn Du sie kenntest, Ihr Euch viel sein würdet, aber mit den meisten ihrer Ideen würdest Du doch uneins sein, wie ich es bin. Schön und gedankenreich findest Du die Briefe gewiß, obgleich freilich, um ganz zu fühlen, wieviel darin liegt, man sie eigentlich selbst kennen muß. Denn gerade so, wie sie schreibt, so denkt, spricht und handelt sie auch. Das Charakte- ristische in ihren Briefen scheint mir zu sein, die Neuheit und Kühnheit ihrer Ideenverbindungen, die Originalität, wär’s auch nur im Ausdruck, die Fülle zuströmender Gedanken, die Tiefe der Empfindung, die unaufhaltbare Lebhaftigkeit und die innige Ver- webung der Empfindung und des Räsonnements. Immer geht sie von Empfindung aus und kommt immer auf Räsonnement zurück. Die höchste Güte des Herzens ist unverkennbar. »Ich möchte einem Gott glauben, um für andre zu bitten!« welch ein Gedanke voll der reinsten Liebe. Und diese Güte kontrastiert so herrlich mit der Stärke, womit sie so viele Leiden trägt, die sie drücken. Ihre Religionsmeinungen sind ganz verschieden von den Deinen, aber sie sind in ihr wahr, nicht angenommen. Es ist doch ein herrlicher Gedanke: »Ich fürchte, dem Herzen möchte Gott selbst nicht genügen, das unter Menschen nichts Göttliches fand.« Wie kurz und klar darin der Gedanke liegt, den man durch ganze Bücher ausgedehnt findet, daß der Gott, den wir erkennen, ein Ideal von Vollkommenheit ist, zu dem wir uns von der Vollkommenheit emporschwingen, die wir unter Menschen finden. Lache über meinen Enthusiasmus, aber ich gestehe es Dir, die Frau — ich sah sie vier Tage lang den ganzen Tag im kleinsten Detail ihres häuslichen Lebens — hat einen großen Eindruck auf mich gemacht, doch mehr der Bewunderung, als der Liebe. Noch eins, die Madame Heine, gegen die sie ein paarmal spricht, ist ihre Stiefmutter. 32