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[   Band 6 Brief 84:    Humboldt an Caroline    London, 19. Mai 1818   ]


aus dem Leben dahin triebe, denn ich lebe glücklich und gern, nicht
daß ich dort, ich weiß nicht welche wunderbare Seligkeit erwartete,
denn ich bin auch hier nie dem Glück nachgegangen, noch eine
ewige Ruhe, denn mich hat hier keine Unruhe geplagt, aber weil
mich die geistige Sehnsucht treibt, die alles tiefe und ergreifende
Verlangen der Leidenschaft in sich trägt, aber nicht ihre quälende
Unruhe und ihre irreführende Heftigkeit teilt, um mit heiterem Sinn
und gesetztem Schritt, die in dem irgend Starken keine Krankheit
zu trüben oder zu erschüttern vermag, aus einem Zustand, den man
von allen Seiten kennt, in dem man sich mannigfaltig versucht hat,
und den man dankbar und liebend auch da noch umfaßt, in einen
verwandten gänzlich neuen überzugehen, wo sich eine neue und
wunderbare Weltansicht eröffnen muß. Man tritt in ein ewiges
Dunkel und gewinnt vermutlich erst da das eigentliche Licht; man
verläßt alles und kommt vermutlich erst dann sich eigentlich nahe.
Es gibt keinen erhebenderen Anblick als den Himmel, und nichts
Heimischeres als die Erde, und mit beiden vereinigt der Tod. Ja,
wenn man, ohne je wieder Bewußtsein einer Persönlichkeit zu
gewinnen, sich im All verlöre, und in der Unendlichkeit des Ge-
schaffenen versänke, wäre es mir noch immer im letzten Augenblick
ein süßes Gefühl, ewig im Schoße der zu ruhen, die einen durch
Glück und Unglück freundlich getragen hat.


85. Humboldt an Caroline                        London, 26. Mai 1818

Ich habe Deinen Brief bekommen, liebe Seele, von des
guten, seligen Wilhelm Geburtstag. Ich habe seiner
wohl an dem Tage gedacht wie Du und mich gefreut,
daß Du wenigstens seinem Grabe nahe warst. Niemand empfindet

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