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[   Band 5 Brief 125:    Caroline an Humboldt     Karlsbad, 25. Juni 1816   ]


sind meinem Herzen alle gleich teuer, und wenn auch ein Kind
einem wohl Ursach’ zu mancher Unzufriedenheit gibt, wie das
Theodor allerdings wohl getan, so kann der Schmerz, selbst der
Unmut, der Liebe, wenigstens der Liebe eines Mutterherzens, nichts
abbrechen. So gern und so schön paart sich die Liebe mit der
Freude, doch vertilgen kann sie nicht der Schmerz noch der Gram.
Ich danke Gott mit heißen Tränen, daß dies so vorübergangen ist.
Theodors Lage ist auch nicht angenehm gewesen, sein Brief hat mich
sehr gerührt, er hat mich aber auch sehr schmerzlich bewegt. Mit
Dir hoffe ich, dies soll der Wendepunkt seines Lebens sein.
Es ist mir auch sehr lieb, daß er seinen Gegner nicht
getötet oder schwer verwundet hat. Ich bin doch überzeugt, daß
nur ein roher Mensch, was Theodor nicht ist und hoffentlich
nicht werden wird, nicht bitt’re Stunden hat, wenn ein solcher
Zufall in sein Leben getreten ist. Wenn die Rache der Be-
leidigung genommen ist, dann wendet sich der Dorn gegen die
eigene Brust. 
Wenn Theodor getötet worden wäre — ich gestehe es Dir,
teures Herz, ich wüßte gar nichts, was mich so zerstört, so zer-
rissen haben würde. Du sagst sehr wahr, daß selbst das, daß
wir zuweilen unzufrieden mit ihm waren und sein mußten, einen
solchen Verlust zerreißender gemacht hätte. Gott, wie danke ich
dir für das milde Geschick, das gewaltet hat! Ich hoffe, daß
Theodor still in sich zur Einsicht darüber kommen wird.
Frau von Cüstine ist eben angekommen und hat mir Deinen
Brief geschickt, der die Gedichte Schenkendorfs enthält. Sie hat
mir sagen lassen, sie würde morgen zu mir kommen. Der Staats-
kanzler ist gestern nachmittag mit seiner Frau und mit Koreff
angekommen. Jordan kommt, glaube ich, erst morgen. Ich bin
dem Staatskanzler gestern gleich, ein oder zwei Stunden darauf,
auf der Promenade begegnet, er sieht wohl aus.

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