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hilflichkeiten sind freilich unangenehm, aber im Grunde ist das Alter doch auch wohltätig und beglückend, ich meine die Lebens- periode, wo man nicht mehr eigentlich in das Leben eingreifen will, sondern nur, wie ich es neulich irgendwo sehr hübsch ausgedrückt las, »auf den Niedergang denkt«. Man löst sich von der Welt und hängt doch mit gleicher Treue an allem, was man liebt und geliebt hat. Das wohltätigste ist, daß die Vergangenheit einem zur Gegenwart wird. Die Briefe der lieben Mutter sind auch darin ein unerschöpflicher Schatz. Ich kann in ihnen, da wir leider oft getrennt waren, unser ganzes Leben wieder von neuem leben und finde darin immer zugleich auch Euch Kinder in jeder Periode des Alters so lieblich wieder. Die Briefe enthalten sehr oft bloß Dinge, deren Interesse nur in der damaligen Gegenwart lag, die liebe Mutter war auch so anspruchslos und so natürlich, daß sie gar nicht nach auffallenden oder besonders hervorgesuchten Ideen haschte, sie sprach sehr oft mehr die Sache als ihre Empfindung dabei aus. Dennoch ist es unglaublich, welch unendlicher Reiz in oft scheinbar unbedeutenden Zeilen liegt. Schon die bloßen Anreden wirken jedesmal so auf mich, und bei einem »liebster Wilhelm«, so einem Wort, das nie wiederkehren kann, verweile ich oft lange. Du siehst, liebe Gabriele, daß ich so einer schönen und wenn auch oft einer wehmutvollen, doch sehr heiteren Ruhe genieße. Adelchen und ihr Mann teilen sie oft mit mir, und wenn Du gerade heute, wo Adelheid mit mir allein ist, die unendliche Stille empfändest, würde sie Dir auch wohltun. Ich bin jetzt schon mehrere Wochen nicht in der Stadt gewesen, und dieser Winter ist darin sehr gut für mich, daß der Staatsrat noch nicht angefangen hat, ich also ungestört hier bleiben kann . . . 370