< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 7 Brief 155:    Caroline an Humboldt     Berlin, 23. Dezember 1826   ]


Daß Netze gegen des jungen Ilgen lange Ohren aufgestellt
werden, will ich wohl glauben. Man denkt sich gewiß als möglich,
daß er einmal des Papas Stelle bekommt, und Versorgung ist
ein Zauberwort in dergleichen Planen.
An dem kleinen Konrektor Schmidt habe ich gar nicht
geahndet, daß Du einen grammatikalischen Widersacher haben
könntest. Die Mama aber ist prächtig, so triumphierend im
Ruhme ihres Sohnes. Ich glaube, es gibt eine Klasse bürgerlicher
Menschen, die es verdrießt, wenn sogenannte Grands Personnages
etwas wissen. Das eigentliche Wissen sehen sie als ihr Eigen-
tum an.
Das indische Gedicht und Deine Bearbeitung desselben muß
einen tiefen Eindruck auf jeden denkenden und in seinem Inneren
lebenden Menschen machen. Die Ansicht, daß die Fülle der Gott-
heit im Menschen ausgegossen ist, und daß dieser heilige Ausfluß
zurückstrebt zu seinem Ursprung, ist doch der Grundgedanke, und
wie wächst doch der Mensch, wenn der ihn durchgehend begleitet!
Auf Goethen bin auch ich begierig.
Von Alexander habe ich einen Brief aus Frankfurt, lieb und
freundlich, vom 17., er ging von da Tag und Nacht nach Paris.
Es hat mich tief ergriffen und gerührt, was Du in Deinem
Briefe über das Leben, die Erinnerung der Vergangenheit und die
Ahndung des lösenden Todes sagst. Ja, lösend ist er gewiß,
das ahndet mein Gemüt, mein Glaube, die Fülle innerer Liebe und
Wohlwollens, die ich jugendlich glühend mir im Herzen fühle,
lösend die Widersprüche, mit denen man gekämpft, die Täuschungen,
denen man unterlegen, die Hülle, die das Jenseits deckt. Ich
glaubte mich dem Augenblick sehr nahe im Sommer. Vielleicht
eben darum zeigte ich Dir nicht ein kleines Gedicht, was ich
damals machte. Es fällt mir heut zufällig wieder in die Hand,
und ich will es Dir abschreiben:

                                                                       299