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[ Band 7 Brief 124: Humboldt an Caroline Breslau, 2. April 1826 ]
Wilhelm ist wirklich allerliebst, er zeigt ein Gedächtnis, eine Klarheit des Verstandes und eine Lebendigkeit bei einer unbeschreib- lichen Milde und Ruhe, daß ich es nicht leicht bei irgendeinem Kinde so gesehen habe. Er ist auch als ein seltenes Kind hier anerkannt und macht wie Maias Säugling *) Wanderungen mit der Amme. Heute ist er zum Diner beim Präsidenten Heineke, der noch als Regierungsrat bei uns in Berlin war, gebeten. Er sagt Gedichte her vom Monat Mai, ungefähr desselben Inhalts als das französische, joli mois de Mai, das Du immer so hübsch sagtest, nur mit einem anderen Ende, und singt auch allerliebst: »Du lieder- liches Bürschchen, du mußt dich nun bekehren, aus liederlichen Leuten kann auch noch etwas weren (werden).« Sie wohnen der neuen Börse gegenüber. Wenn man ihn fragt: »Wer sagt Börse?«, antwortet er: »Die gebildeten Leute,« mit einem ganz altklugen Gesicht, und wenn man fragt: »Wer sagt Bärsche,« sagt er: »Die Kräuterweibervölker.« Merkel **) ist unendlich freundschaftlich gegen mich. Gleich den Abend meiner Ankunft schickte er zu mir und ließ mich fragen, wann er den andern Tag zu mir kommen könnte, und obgleich ich ihm sagen ließ, daß ich zu ihm kommen würde, war er schon vor 10 Uhr bei mir. Ratzmer ist ebenso. Mit Merkel habe ich viel gesprochen und mich aufs neue überzeugt, daß er ein höchst ver- nünftiger Mann und eine wahre Wohltat für die Provinz ist. Mit meinem Geschäft bin ich leider um nichts vorgerückt... Die eigene Administration verspricht auch nicht viel. Merkel ver- sichert mir, daß er bei seinem Gut, das er mehrere Jahre hat, und mit dem Kauf zufrieden ist, doch noch immer die Pfandbriefzinsen aus seiner Tasche bezahlt hat. Die Klagen sind hier groß, und wenn der Wollmarkt mißglückt, werden sie erst vollends ausbrechen. ——— *) Mercur. **) Oberpräsident von Schlesien. 238