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[ Band 7 Brief 94: Humboldt an Caroline Schulpforta, 9. November 1823 ]
sprochen noch geschrieben. Sie bedenken nicht, daß ein Mensch die Form der Natur mit innerem und wahrem Genie und sogar er- finderisch auffassen und wie durch eine Inspiration erkennen und in der Kenntnis des Stoffes sehr zurückstehen, wohl auch von diesem manches falsch anwenden kann. Da aber einmal Goethe in dieser Sache sich des Beifalls der ersten in der Wissenschaft schwerlich wird erfreuen können, sollte er den Beifall derer, die man fast die letzten nennen könnte, nur insofern privatim nicht verschmähen, als er guten Willen, einen unbefangenen Sinn und manchmal Anspruch- losigkeit bewährt, dagegen ihn nicht so öffentlich ausposaunen. Die Stellen über den Schütz *) werden Dir auch mißfallen haben. Dieser Mensch ist wirklich zu flach und unbedeutend. 95. Humboldt an Caroline Weimar, 12. November 1823 Ich habe Goethen, liebe Li, leider krank gefunden. Er hat seit 10 bis 12 Tagen einen Husten, der ihn sehr mit- nimmt. Er wirft nicht aus dabei, hat kein Fieber, ob- gleich vollen Puls und krampfhafte Anwandlungen, so daß ihm die Nägel oft blau sind. Er klagt besonders über schlaflose Nächte, die mit dem Husten natürlich verbunden sind. Er schreibt die Verschlimmerung seines Zustandes großenteils einer gefährlichen Krankheit zu, an der sein Arzt, ein Hofrat Rehbein, daniederlag. Jetzt ist dieser, auf den er großes Vertrauen setzt, wiederhergestellt, und so ist er auch mutvoller. Sein Aussehen kann ich dem- ungeachtet nicht sehr verändert finden. Auch spricht er heiter, so- bald ihn der Gegenstand belebt. Da es ihm aber unmöglich gut ——— *) In seiner Schrift »Zur Morphologie«« hatte Goethe längere Auszüge aus einer 1821 erschienenen Schrift von Wilh. v. Schütz »Zur Morphologie« gegeben, dessen Gedanken sich an seine eigenen anschließen. 171