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[   Band 7 Brief 37:    Humboldt an Caroline    Tegel, 10. Dezember 1820   ]


danken und Empfindungen in mir, daß ich mir gar nicht denken kann,
wie es sein müßte, wenn das alles abgeschnitten wäre. Aber man über-
lebt sich auch gewiß nur kurz, wenn in zwei Menschen alles so eins ist.


38. Humboldt an Caroline                       Tegel, 12. Dezember 1820

Ich hätte Dir gern gestern geschrieben, liebe Seele, aber
nach allen durch Grimm und den Gärtner eingezogenen
Nachrichten ging kein Tagelöhner nach Berlin. Ver-
mutlich ist es nun bis Sonnabend ebenso und dies die letzten
Zeilen, die ich Dir schreiben kann, bis ich selbst komme. Freilich
ist auch nichts zu schreiben, wenigstens nichts, was Du nicht selbst
wüßtest. Es geht gar nichts vor. Der heutige Tag zeichnet sich
indes doch aus. Die Nacht habe ich, versteht sich nur im Traum,
hohen Besuch gehabt. Ludwig XVIII. war in Person bei mir und
ganz vertraulich. Er kam in einer zweisitzigen Chaise. Das Haus
war schon halb fertig, und ich zeigte ihm den Saal, der ihm sehr gefiel.
Auch war es wirklich sehr hübsch. Vorzüglich gefielen ihm die Treppen.
Es waren gar keine Stufen, sondern abschüssige, mit Teppichen belegte
Gänge. Er nahm sehr freundlich Abschied. Doch war er nicht um
mich bloß gekommen, sondern fuhr zum König. Dies Amüsement ist
nun freilich mit dem Erwachen verschwunden. Nun aber hat Herr
Hannemann Leute geschickt, die Steine vom See heranfahren zu lassen,
und da ist wirklich eine ganz ungewohnte Bewegung hier.
Es hat heute fast den ganzen Tag geregnet. Doch habe ich
mich nicht von meinem Spaziergang abbringen lassen. Es war
im Walde unendlich melancholisch. Außer dem Hämmern eines
Spechts hört man nichts Lebendiges. Nur das Rauschen in den
Wipfeln. Aber der See ist dagegen viel lebhafter. Er stürmt
ordentlich, und der Kontrast der überschwemmten und ruhigen

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