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[   Band 6 Brief 209:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 28. Mai 1819   ]


zu verlassen, sie auf eine wunderbare, nur dem höheren Gefühl,
das sie beide umschließt, begreifliche Weise zu vereinigen weiß. Ob
wir Rom je wiedersehen ist freilich zweifelhaft, und Du sagst sehr
rührend und schön: wenn es nicht ist und wir früher sterben, nun
so kommen wir wohl an einen schöneren Ort als Rom. Kein an-
derer Platz der Welt ließe sich so mit dem gar nicht mehr Irdischen
zusammen nennen. Aber die Stadt, die so wunderbar Himmel und
Erde, Zeit und Ewigkeit verbindet, in der es einem gleich natürlich
und leicht wird, an das einsame Bett des Grabes und an den
Glanz überirdischen Daseins zu denken, gesellt sich allem, was nur
die Brust immer zu empfinden vermag.
Seit meiner Zurückkunft aus Nassau heize ich nicht mehr ein,
selbst des Morgens nicht, obgleich ich jetzt oft früh aufstehe, wie
noch heute gegen 6. Ich blieb bisher regelmäßig zwischen 1 und
2 auf, und stand um 8 auf. Aber da ich hier so viele Abende
ganz unabhängig bin und eigentlich, seit Stein fort ist, die meisten,
so gehe ich zu Bett wie es kommt, selbst um 10, und stehe etwa
sieben Stunden darauf wieder auf. Das ist mir viel lieber. Über-
haupt habe ich viel natürlichere Manieren und Liebhabereien als
man denkt, und habe nur durch das Gesandtenleben und viele an-
dere Umstände nicht immer das Natürlichste erreichen können: Ich
lebte am liebsten mit Dir ungetrennt und ungestört auf dem Lande,
und die ersten Jahre unserer Heirat bleiben mir daher immer die
goldene Zeit des Lebens. Ich lebte sehr gern noch heute ganz
auf dieselbe Weise, und Du, himmlisch liebes, gütiges Kind, auch.
Aber da stellt sich das Leben, ich will nicht sagen, feindlich, aber
doch unfreundlich dazwischen und treibt uns in andere Lagen und
Verwickelungen. Ich bin jetzt ruhig darüber, weil ich es wie ein
Geschick ansehe, sonst, wenn ich es so für einen einzelnen Akt meines
Wollens hielte, würde ich mich lange und vielleicht nie darüber be-
ruhigen können, daß ich den einzigen Moment, wo ich es, durch

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