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[   Band 6 Brief 208:    Caroline an Humboldt     Florenz, 25. Mai 1819   ]


ist doch eine traurige Sache, wenn sie einen gewissen Punkt er-
reicht hat.


209. Humboldt an Caroline                 Frankfurt, 28. Mai 1819

Ich habe gestern mit Carolinen und Schlossern bei Willemer *)
in seinem Landhause gegessen. Es liegt am Main zwischen
der Stadt und Offenbach und hat eine sehr schöne Aus-
sicht nach allen Seiten hin. Außerdem hat Willemer es sehr schön
umpflanzt. Er selbst war weniger förmlich wie gewöhnlich, und wir
haben einen recht angenehmen halben Tag bei ihm zugebracht. Er
hat uns besonders viel alte Geschichten und Anekdoten von Goethe
und seinem Leben hier erzählt. Das Wetter war himmlisch, klar
und selbst nicht zu warm.
Es haben Dich also alle noch aus Rom begleitet, mit denen
Du am meisten dort umgingst. Sie haben unendlich viel mit Dir
und durch Dich verloren. Wenn Du Bekkers Stummheit über-
wunden hast, hast Du ordentlich ein Wunder getan. Mir kam
sie immer unüberwindlich vor, und es war wirklich Dir vorbehalten.
Ich bin ihm aber dessenungeachtet immer gut gewesen. Er ist
gründlich gelehrt, unermüdet fleißig und lebt bloß in der Sache, die
ihn interessiert.
Deinen Schmerz, Rom zu verlassen, begreife ich ganz, und Du
kannst mir gewiß, geliebtestes Wesen, immer Dein Herz ganz er-
schließen. Es ist dies gerade der recht tiefen und innigen Liebe
eigen, daß sie die Seele für alles Große und Schöne noch mehr
öffnet, und da, wo Empfindungen miteinander zu streiten scheinen,
wie bei Deinem Wunsch, mich zu sehen, und Deiner Trauer, Rom

———
*) Johann Jakob Willemer, der bekannte Freund Goethes.

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