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[ Band 6 Brief 206: Humboldt an Caroline Nassau, 21. Mai 1819 ]
wir noch Monate in Frankfurt wären. Meine anderen Kollegen machen sich darauf gefaßt, und fast gewiß scheint es mir, daß ich wenigstens nicht bis zu der Zeit in Frankfurt endige, zu der Du kommst. In dieser Rücksicht nun ist es mir sehr lieb, das leugne ich nicht. Allein in allen anderen Rücksichten ist es verderblich. Für die Sache offenbar. Denn wenn ich einmal etwas leisten kann und soll, so ist die Zeit edel, und es ist natürlich, daß die Dinge bei verlängertem jetzigen Zustand immer schlechter gehen, immer verwirrter werden, und daher die Schwierigkeit, sie zu ordnen, wächst. Dann, was schon zum Teil gewiß der Fall ist, wird das Publikum lauer in seinen Erwartungen von mir. Alles, was sich so zu lange hinschleppt, ehe es zu etwas nur irgend Sichtbarem wird, verliert an Interesse. Endlich stehe ich gar nicht dafür, daß nicht in Berlin und anderwärts die Leute zu denken anfangen, daß ich, sei es aus Furcht oder Trägheit oder eigennützigen Absichten, selbst dazu beigetragen habe, meinen Aufenthalt zu ver- längern. Sollte es also wirklich viel länger dauern, so werde ich doch Schritte tun, um zu versuchen, loszukommen. Bis jetzt habe ich es nicht getan, weil, wie auch Stein gänzlich meiner Meinung war, ich denken mußte, daß, je mehr ich Empressement zeigte nach Berlin zu kommen, desto mehr man mir gerade entgegenarbeiten würde. Allein wenn die Zeit immer verfließt und doch nichts ge- schieht, muß ich wenigstens mein Gewissen retten. Stein ruft mich zum Frühstück, süße Seele, und ich muß auf- hören. Ich gehe nämlich seit einiger Zeit früh zu Bett und stehe früh auf. Ich schreibe morgen noch einige Worte. 22. Pfuel ist gestern nicht gekommen, kommt aber heute. Nun hat der Arme heut schlechtes Wetter, wenigstens Regen, denn sonst ist die Luft von himmlischer Stille und Milde. Ich nehme hier ganz andere Sitten an. Stein ist buchstäblich von morgens 546