< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 6 Brief 188:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 19. März 1819   ]


würdige Gottheit zu nennen. Der Schlaf ist mir sehr wenig, und
ich liebe ihn weit mehr recht oft unterbrochen, aber der Geist schweift
so himmlisch in der Finsternis der äußeren Natur herum, und wie
hell auch die nächtlichen Gestirne leuchten, so hat ihr milder Schein
doch eine menschliche Scheu, das ehrwürdige Dunkel zu stören, man
gehört nie mehr sich selbst an, und man könnte durch ein recht qual-
volles und mühsames Leben noch mit Leichtigkeit gehen, wenn man
der Süßigkeit der Nächte gewiß wäre. Ich freue mich immer,
wenn ich zu Bett gehe, und selbst im engen und unbequemen Bett
sehe ich den Morgen allemal ungern. Die kurzen Sommernächte
sind mir das Grauenvollste im Norden, wie menschlich und schön
ist da die dämmerungslose Nacht im Süden, die die Alten allein
kannten. Kaum ist die Sonne verblichen, stehen die Gestirne da,
und Augen und Gemüt befällt eine himmlische Ruhe. So ist im
schönen Land alles schön und auch recht gut, daß die Natur nicht
so karg gerecht die Gaben versplittert, lieber auf einen vom Schick-
sal ausersehenen Fleck alle gehäuft und anderen fast alles entzogen
hat. Die Phantasie wenigstens weiß nun, wohin sie sich rettend
flüchten kann. Denke auch recht oft an mich, liebe geliebte Seele,
wenn Du so bei einigen uns besonders lieben Punkten bist. Der Ge-
danke des Menschen haftet doch unsichtbar, und wenn ich mir selbst
überlassen bin, weile ich doch nur im Altertum und in Rom, was
der einzige Ort ist, den ich sah, wo es mir noch anschaulich werden
konnte. Alles übrige ist recht gut und notwendig und auch im ein-
zelnen trefflich, aber es ist doch rauh und schwer und hart, und macht
sich so breit und groß und nimmt so ein lästiges Pathos an. Die stille
Größe und die Anmut ist mit der schönen Zeit der Griechen ge-
wichen, und mich wird weder das Mittelalter noch das Moderne
jemals besitzen. Man lebt darin und setzt alle Kräfte daran aus
Pflicht und weil nun einmal im Leben gearbeitet und gehandelt
werden muß, aber was man ihm zuwendet, ist doch nur eine irdische

                                                                       506