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[   Band 6 Brief 164:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 1. Januar 1819   ]


Moment fallen läßt, soll auch sie mit ihm hinsinken. Dagegen
schützt auch kein Zurückziehen, kein Suchen der Einsamkeit. Denn
ein solcher Schritt, willkürlich vorgenommen, ist ja auch einer in
der Kette, die der Mensch, so lange er lebt, schwebend erhalten
muß. Es frommt und hilft also nichts, als mit Kraft und Be-
sonnenheit und vor allem mit Scheu vor ungerechter Zuversicht
vorwärts gehen, und das ist das Einzige, wonach ich strebe. Aber
ich fühle auch sehr gut, daß alles Bisherige nur sehr leicht war
gegen das jetzt zu Behandelnde, und daß, wenn ich jetzt tadelfrei
abtreten könnte, ich mich gewissermaßen spielend mit dem Schicksal
über die Tätigkeit abgefunden hätte, die man andern und sich selbst
schuldig ist. Was meine Lage, liebe Li, jetzt im Innern so bedenk-
lich macht, ist, daß ich jetzt werde übernehmen müssen, wovon es
mir mit Recht ungewiß scheinen muß, ob ich ihm wirklich gewachsen
bin. Darüber urteilen die Meisten, wenn sie über mich reden, zu
leicht ab, und, wenn ich zweifle oder widerspreche, glauben sie nicht.
Allein man kennt sich doch selbst, und so wie es im Körperlichen
Lasten giebt, die man nicht heben, Dinge, die man nicht nachahmen
kann, so, obgleich minder beschränkt, ist es im Geistigen. Ja selbst
die Prüfung dabei ist schwer, da Besorgnis und Zuversicht zu
weit führen können.
Von dieser Seite kann ich also nicht sagen, daß ich das
neue Jahr mit zuversichtlicher Freudigkeit beginne. Aber auch
darin ist mir die Gewißheit, mit Dir zusammen zu sein, ein
unendlicher Trost, und viel mehr, als ich Dir sagen kann. Es
ist eine eigene Kraft und eine höhere Klarheit, die sich nun einmal
nicht weiter schildern und begreiflich machen lassen, die ich allemal
aus dem Zusammensein mit Dir schöpfe, und immer eine höhere,
geliebte Seele, je inniger und ungestörter das Zusammensein ist.
Ja, wohl wäre es schön, in tiefer Einsamkeit mit Dir in Burgörner
oder Rom zu leben. Aber glaube ja nicht, geliebtestes Herz, daß

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