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[   Band 6 Brief 137:    Humboldt an Caroline    London, 20. Oktober 1818   ]


Eingeweide hinein. Er kann kein Härchen im Gesicht haben, das
nicht lebendig vor mir steht, und ganz tief in dem Mund kann man
die hohlen Zähne erkennen. Das Unglück ist nur, daß das Feld
so klein ist, daß ein Akteur mit seinem Kopf es ganz füllt, und
daß man nach ihm sehen muß wie nach einem Stern. Zum Ge-
nuß im Theater oder in Galerien ist so ein Glas nicht, aber der
Mond sieht allerliebst dadurch aus. Außerdem habe ich mir auch
eine Lupe gekauft, durch die ich Deine hübschen Siegel ansehe. Vor
allen Dingen aber bedenke ich immer, wie gut Dir die Lupe sein
müßte, um meine Briefe zu lesen. Wüßte ich nur einen Reisenden,
schickte ich sie Dir wirklich. Manchmal untersuche ich selbst meine
Schrift damit, finde aber dann zu meinem großen Erstaunen, daß,
wie groß auch das Gekritzel wird, die Buchstaben doch nicht da-
stehen, die ich ausgelassen habe. Nun habe ich aber auch alles von
Gläsern, was ich fürs Leben brauche, und es muß höchst amüsant
sein, in Burgörner aus dem Fenster Deine Pflanzungen auf dem
Lindenberg zu betrachten. Kein Käfer kann einem entgehen.
. . . Sie kriegen gewiß viel Kinder. Das pflegte immer die
selige Mama zu sagen, wenn sie gegen eine Heirat war. Es ist
sehr merkwürdig, daß sie immer Angst vor dem Verarmen hatte.
Sie wird gewiß nie gedacht haben, daß wir uns nur je noch in so
gute Umstände brächten, als wir getan haben. Mein Vater war
dagegen wie Alexander, immer ausgebend und immer reich in der
Idee. Indes wußte er auch in Wahrheit zu erwerben und ohne
kleinliche Mittel.
Lebe wohl, mein Innigst- und Ewiggeliebtes! Warum bin ich
nicht bei Dir. Ewig Dein H.

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