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[ Band 6 Brief 97: Humboldt an Caroline London, 26. Junius 1818 ]
und zu lange muß der Mensch nicht dauern. Er kommt dann in Geschlechter, denen alle nähere Teilnahme an ihm fremd ist. Die Erde ist ihm immer nah und immer vertraut, und es ist schöner, daß er sich in ihr verliert und nur der auch nach und nach ver- hallende Klang seines gewesenen Daseins bleibt. — Von Hermann wünschte ich wohl, daß er eigentlich gelehrt würde, gar nicht aus irgendeiner äußeren Ursache, aber es hat etwas Störendes, daß, da Alexander und ich immer im Wissen und Forschen und Lernen leben, Du ebenso bist, nun das mit uns auf einmal abbricht und vieles, was wir täglich gedacht und emp- funden haben, den Kindern ein ewig fremder oder nur halbver- standener Laut bleibt. Und doch ist auf die Mädchen nicht zu rechnen. Die arme Caroline ist zu kränklich gewesen und muß sich doch auch noch sehr schonen, und Adelchen und Gabrielen kann der Geschmack wenigstens immer nur halb kommen, da ihre Männer auch, wie durch ein eigenes Schicksal, anders sind, und sie so früh diese Verbindungen angeknüpft haben. Es ist unglaublich, was dem Menschen entgeht, wenn ihm die Alten nicht nah und immer zugänglich sind. Wer es nicht kennt, fühlt es freilich nicht. Aber man fühlt es an ihm, und wenn ihm der Sinn auf einmal aufgehen könnte, so würde er wie ein neues Leben empfinden. Man hat eine ganz andere Kraft, dem Schicksal zu begegnen, und eine ganz andere Lust, ihm durch seine Höhen und Tiefen zu folgen. Wem es fehlt, dem mangelt auch, je nachdem er gebildet ist, bald Zartheit, bald Freiheit, und kein anderes Stu- dium, keine andere Neigung des Geistes kann es ersetzen, da hin- gegen es selbst sich mit allen friedlich vereinigt. Es ist gar darum nicht nötig, viel Lateinisch und Griechisch zu wissen, man kann selbst beide gewissermaßen entbehren. Aber in einem Manne kommt das, was einem nicht fehlen darf, selten hervor, als wenn er durch das Studium hindurch geht, und darum vorzüglich ist 237