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[ Band 6 Brief 96: Humboldt an Caroline London, 23. Junius 1818 ]
und seine Zartheit, seine Natürlichkeit und seine Größe. Ich habe seit vielen Jahren eigentlich nicht die Alten studieren können, denn das Studium fordert doch viel Zeit und ein von anderen Ge- danken reines Gemüt, ich habe also indes nur Weniges und flüchtig gelesen, manchmal in vielen Monaten nichts als täglich einige Blätter im Homer, allein sie bleiben mir darum immer gleich nah, und ich glaube, das würde sich nie ändern, wenn ich auch nie mehr einen Schriftsteller in die Hand nehmen könnte. Hier wird einem Athen wenigstens sehr anschaulich durch die Elginschen Monumente, das Panorama, eine Menge Menschen, die dort waren und viele Zeichnungen. Ich benutze das vorzüglich und halte es für den Hauptgewinn, den ich von London mit weg- nehmen werde. Ich war gestern wieder bei einer Wahlversammlung in Guild- hall, dem Rathause des ältesten Teils von London, der City. Es ist der Saal, in dem die Souveraine 1814 speisten, wo ich mit war, eine ungeheure gotisch gebaute Halle, wie eine große Kirche, und ganz frei, durch nichts zerstückelt, denn einige Monumente auf Pitt *), seinen Vater, Nelson usf. stehen nur an den Wänden herum. Die gotischen Verzierungen sind einfach aber sehr edel, die Fensterscheiben bunt gemalt, aber nicht vorzüglich. Ich hatte einen sehr guten Platz auf dem Gerüst, wo die Wahlbewerber stehen. Unmittelbar unter uns saßen die Schreiber und kamen die Stimmengebenden, und einen Schritt weiter, aber durch eine Barriere gesondert, die wogende Volksmasse, vielleicht 4—5000 Menschen, die sich so drängen, daß sie keinen Augenblick still stehen können. Auf zwei nicht großen Balkons waren Damen. Wie nun die Stimmegebenden kommen, so jauchzt oder zischt das Volk, und oft beides zugleich nach Verschiedenheit der Parteien, und die Be- ——— *) William Pitt, geb. 1759, † 1806. Das Haupt der Whigpartei und Gegner von Fox. 233