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[ Band 6 Brief 94: Humboldt an Caroline London, 19. Junius 1818 ]
Viele Wahlen nun, die von kleinen oder halbeingegangenen Markt- flecken abhängen, sind ganz unbedeutend und gehen in der Stille vor. Allein in den Grafschaften und den großen Orten sind die Wahlen ungemein bestritten, und um so mehr, als man einen hohen Wert darauf legt, gerade auf diese Weise, also wahrhaft durch die Gunst einer großen Volksmenge, gewählt zu sein. In London, da es so groß ist, gibt es drei solcher Wahlen, und die tumultuarischste ist die von Westminster. Ich war gestern einen großen Teil des Vormittags dabei. Sie geht unter freiem Himmel vor. Auf einem Platz vor einer Kirche ist ein hölzernes Gebäude aufgeführt, in dem die Kandidaten und die Personen sind, welche die Stimmen aufschreiben. Gegenüber ist ein großes Gerüst auf- geführt für Zuschauer, auf dem die Fahnen aufgesteckt sind, durch die sich die Parteien der Bewerber unterscheiden. Auf dem Platze dazwischen aber ist die wogende Volksmenge, jetzt in Westminster der niedrigste Abschaum des Pöbels, der selbst gar keine Stimme hat, sondern diesmal vorzüglich von dem Hunt *) gemietet ist, der durch seine Reden im vorigen Jahr mit Veranlassung war, daß man den Wagen des Prinzen-Regenten mit Steinen bewarf. Sich in diesen zu mischen, ist nie ratsam, ich bin also, da De Sanctis **) gerade an diesem Platze wohnt, in seinem Hause gewesen, wo man sehr gut sah. Von Zeit zu Zeit kommen nun die Bewerber heraus, zeigen sich und halten Reden, und dann ist ein Hurrahrufen von der einen und Zischen von der anderen Partei, daß man keinen Begriff davon hat. Einzeln fehlt es auch nicht an Schläge- reien, und man sieht alle Augenblicke einen an den Brunnen gehen und sich das Blut abwaschen. Sogar einer der Bewerber ist gestern in Westminster bedeutend am Auge durch einen Steinwurf ver- wundet worden. Alte Weiber singen und verkaufen auch Volks- ——— *) James Henry Leigh Hunt, geb. 1784, † 1859, Schriftsteller. **) Humboldts Arzt. 226