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[ Band 6 Brief 93: Humboldt an Caroline London, 16. Junius 1818 ]
gewöhnt genug bin, um dabei das nötige Gleichgewicht zu bewahren. Dabei habe ich das Glück gehabt, in den beiden entscheidendsten Epochen des Lebens Einsamkeit genossen zu haben oder erwerben zu können, in der späten Jugend bis lange ins reife Alter hinein (denn wie wir uns heirateten, waren wir doch gerade in den Jahren, die einem die besten der Jugend scheinen) und im letzten Teil des Lebens; das Zusammentreten mit der Welt fiel nur in wenige, und gerade die Zeit, wo es am wenigsten aus der ursprünglichen Eigentümlichkeit entfernt und am wenigsten das ganze Wesen in Anspruch nimmt. Überhaupt ist, wenn man auf die innere Bildung sieht, nie ein Mensch durch die Umstände, unter denen sie gedeihen kann, so vom Schicksal begünstigt worden als ich, und es wird daher auch nie einer, in welchem Moment und auf welche Weise es ihn treffen kann, gleich dankbar sterben. Ich möchte nichts von meinem Leben wegwünschen als die schmerzlichen Verluste der lieben Kinder und ein Paar Zeitpunkte, wo ich Dich hätte glücklicher machen können, als Du gewesen bist. Aber das erste darf die Versöhnung mit dem Geschick nie hindern, und über dem letzten waltet Dein sanftes und mildes Verzeihen. Das Andenken an Wilhelms und Gabrielens Geburtstag, beide so jetzt in L’Ariccia zusammentreffend, führen mich mehr als ich Dir beschreiben kann in jene Zeit und jenen Morgen zurück. Die Vorgebirge lagen, wie ich die Höhe hinanfuhr, so heiter in der Frühluft da, und ich wagte nach dem, was ich ahnden mußte, doch nicht zu hoffen, und als ich in den Garten hineinging, wurde mir Gabriele eben ent- gegengetragen, als ich an der Gartentüre von dem italienischen Bedienten, was vorgegangen war, mit dem Ausdruck gehört hatte, den ich sehr liebe, weil er nie das Bild des Lebens verläßt: è passato all’ altra vita. — Es ist vielleicht unrecht, geliebtes Wesen, daß ich Dir so das Einzelne jener Zeit zurückrufe, aber es liegt ja doch immer 224