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[ Band 6 Brief 42: Humboldt an Caroline London, 15. Januar 1818 ]
Besonnenheit läßt. Aber dafür trägt auch die tiefer wurzelnde Trauer der reiferen Jahre schönere und edlere Früchte und schlingt sich mit Banden um das Herz, denen man doch nicht gram sein kann. Überhaupt kommt Schmerz und Mitleid und alles, was Unglück heißt, mir immer wie eine eigene ungeheure Welt vor, wie die Nachtseite auf der Homerischen Welttafel, in der man auch nicht ohne leitende Gestirne ist, wenn man schon der Sonne ent- behrt, und die mit Scheu zu fliehen nicht menschlich gesinnt sein würde; sie zieht einen viel eher durch eine geheimnisvolle, wunder- bare Kraft manchmal an, daß man, um jene Nachtgestalten in der Nähe zu schauen und sich in das tiefste Menschliche zu tauchen, das Leiden wie eine befreundete Macht an sich zieht und darin weilet und lebt. Die kleine weibliche Figur von Thorwaldsen solltest Du wohl, teures Herz, um in das volle Licht zurückzukehren, in Marmor haben. Es ist sehr schön in Thorwaldsen, daß das wirklich Neue im Schönen auch in ihm etwas Neues entstehen läßt. Andere bringen so immer, selbst die besseren, unzählige Male dieselbe Form des Schönen, die ihnen einmal gerät und genehm ist, hervor. In Schiller war es gerade wie bei Thorwaldsen. Er spielte, im edelsten Sinne des Worts, nicht bloß mit dem Stoff, sondern auch mit den Formen. Fast in jeder seiner letzten Tragödien versuchte er sich an einer neuen. Er hat mir selbst einmal gerade darüber geschrieben, und ich muß nur nachsehen, ob dieser Brief unter den aus der Plünderung *) geretteten ist. Den 16. Ich aß gestern mit Bülow bei dem Herzog von Cumberland, und wir kamen erst um 1 Uhr nach Hause. Die verschiedenen Akte eines solchen Diners, wo man um 1/2 8 an Tisch geht, nun erst ißt, dann mit den Damen beim Dessert sitzt, endlich ohne die ——— *) Von Tegel 1807. Vgl. Bd. III, S. 434. 102